Landkreis Diepholz. Auch 2023 sind vor dem Landgericht Verden wieder Taten verhandelt worden, die im Landkreis Diepholz begangen oder auch nicht begangen wurden. Ein Rückblick.
Mit Messer und Maske in der Spielothek: Das eigentliche Überfallopfer, die Angestellte einer Spielothek in Twistringen, bekommt von den beiden geständigen Angeklagten (32 und 27 Jahre alt) gleich zum Prozessauftakt jeweils 5000 Euro Schmerzensgeld. Um den Täter-Opfer-Ausgleich zu komplettieren, erhält später noch der Hallenbetreiber die Zusicherung einer Zahlung von 8000 Euro; 1000 Euro gibt's schon bar vorab. Das Duo erhofft sich davon offenbar eine deutliche Strafmilderung – zu hoch gepokert. Die verwandten Männer aus Nordrhein-Westfalen kassieren wegen besonders schweren Raubes, verübt im September 2020, mehrjährige Haftstrafen. Der maskierte Haupttäter hatte die Frau mit einem Messer bedroht, gefesselt und im Herren-WC eingesperrt, bevor er sich mit einem Brecheisen über drei Spielautomaten hermachte und etwa 2500 Euro erbeutete.
Missbrauchstaten an zwei Cousins: Die große Jugendkammer befindet einen 23-Jährigen aus Twistringen für schuldig, vor rund sechs Jahren zweifachen sexuellen Missbrauch von Kindern begangen zu haben. Bei den Opfern handelt es sich um seine heute 13 und 16 Jahre alten Cousins. Der Angeklagte, der in der Kindheit selbst Missbrauch erfahren haben soll, hatte die Vorwürfe hartnäckig bestritten. Ihm wird auferlegt, innerhalb von sechs Monaten 200 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten.
Geldbeschaffung für Kokainnachschub: Aus den beiden „koksenden“ Kumpels wurden Komplizen bei der gewaltsamen Geldbeschaffung für den Kokainnachschub. Ein 19-Jähriger und ein 21-Jähriger aus Bruchhausen-Vilsen werden wegen Raubüberfällen im September 2022 auf eine Tankstelle an ihrem – bisherigen – Wohnort und einen Einkaufsmarkt in Leeste zu Jugendstrafen von dreieinhalb Jahren verurteilt. Sie verwendeten ungeladene Schreckschusspistolen, um ihre Forderungen zu unterstreichen, und flüchteten in einem Firmenfahrzeug, das der Ältere zur Verfügung hatte. Die Freude an der Beute, über 20.000 Euro, währte nicht lange.
Rapper, Räuber, Strafhäftling: Sein Abdriften in die Gangster-Rap-Szene und der verstärkte Kontakt zu Personen, die ihm bereitwillig zu den erwünschten kriminellen Erfahrungen verhalfen, bringt einen 31-Jährigen aus Syke hinter Gitter. Wegen eines gemeinschaftlichen Raubüberfalls auf eine Familie in Bruchhausen-Vilsen, das perfide Einfädeln einer Raubtat in Weyhe sowie Drogenhandels erhält der IT-Experte fünf Jahre Haft. Vor den bereits 2018 verübten Taten, nach denen er sich in die Türkei absetzte, hatte er in Luxemburg einschlägige Erfahrungen gesammelt: bei einem Einbruch und anschließend in einem Gefängnis im kleinen Großherzogtum.
Beihilfe zum Trickbetrug mit Schockanruf: Bargeld und Goldbarren im Wert von 78.000 Euro hätte eine Seniorin aus Stuhr eingebüßt, wäre der im Auftrag von Telefontrickbetrügern erschienene „Abholer“ nicht schon von der Polizei observiert worden. Der 51-jährige Pole wird wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und darf die Heimreise antreten. Er sei zwar nicht Mitglied einer hochprofessionell agierenden Bande gewesen, aber „Teil des Systems“. Das Gericht hatte sich mit einem der vielen Fälle zu befassen, bei denen vor allem ältere Menschen das Opfer wortgewandter Betrüger werden, sich als Polizisten ausgeben und Horrornachrichten verkünden. „Ein Dauerdelikt mit hoher Dunkelziffer“, sagt ein als Zeuge vernommener echter Polizist. Auch die 88-Jährige aus Stuhr hatte einen sogenannten Schockanruf erhalten.
Zweifel an krimireifem Martyrium: Mit aller Akribie hat die Zehnte Große Strafkammer an 16 Verhandlungstagen die krimireifen Vorgänge in einer Brinkumer Lagerhalle beleuchtet. Am Ende hegt sie erhebliche Zweifel an den Schilderungen des Geschädigten, der im Februar völlig unschuldig stundenlang ein wahres Martyrium erlitten haben will. Die Aussagen des 40-jährigen Geschäftsmannes aus Hannover wiesen zahlreiche Ungereimtheiten und Widersprüche auf; unterm Strich sei den Angaben der drei Angeklagten (22, 26 und 27 Jahre alt) mehr Glauben zu schenken. Sie hatten erst kurz vor Toresschluss Einlassungen abgegeben und den Handyshop-Betreiber als ziemlich skrupellosen „Hawala-Banker“ geoutet. Das Trio kommt mit Bewährungsstrafen wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung beziehungsweise Beihilfe zu Letzterem davon.
Versuchter Totschlag nicht bestätigt: Was sich im Januar 2021 in einer Wohnung in Weyhe genau abgespielt hat, lässt sich im Prozess nicht hinlänglich klären. Ursprünglich wegen versuchten Totschlags an der Ehefrau angeklagt, erhält ein 49-Jähriger wegen „einfacher“ Körperverletzung und Bedrohung eine 18-monatige Bewährungsstrafe. Die Frau und eine ebenfalls angegriffene Tochter hatten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Das Gericht ist aber sicher, dass die gewalttätigen Handlungen vor den Augen weiterer – minderjähriger – Familienangehöriger von dem Mann ausgingen und nicht umgekehrt, wie von ihm behauptet. Jugendamt und Amtsgericht waren in der Vergangenheit schon mehrfach eingeschaltet worden: „Die Kinder hatten Angst vor ihm.“
Verfahren gegen Försterin eingestellt: Fast viereinhalb Jahre nach dem tragischen Unfalltod eines zehnjährigen Jungen im Waldpädagogikzentrum Hahnhorst in Schwaförden muss sich eine leitende Mitarbeiterin vor Gericht verantworten. Der 35-jährigen Försterin wird fahrlässige Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Die Ermittlungen, die sich anfangs auch auf zwei andere Bedienstete sowie auf zwei Lehrkräfte erstreckten, hatten sich lange hingezogen. Nun geht es ganz schnell: Das Verfahren wird gegen eine Geldauflage von 4000 Euro eingestellt. Der Fünftklässler eines Wolfsburger Gymnasiums war beim unbeaufsichtigten Spielen von einer etwa 400 Kilogramm schweren Lore überrollt worden und noch an der Unfallstelle verstorben.
Auto-Attacke auf die Tochter: Angeblich wollte der Angeklagte seine Tochter und deren Freund nur aufhalten und zur Rückkehr in den feiernden Familienkreis veranlassen. Daher sei er ihnen auf der Dreyer Straße hinterhergefahren und habe dann leider, da reichlich betrunken, die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Diese verharmlosende Darstellung des dramatischen Geschehens am Aprilsonntag in Weyhe nimmt die Schwurgerichtskammer dem 55-jährigen Angeklagten nicht ab. Sie hält auch die von deutlichem Entlastungsbestreben geprägten Aussagen der beiden Betroffenen für nicht glaubhaft. Die 16-Jährige war von dem Auto erfasst und schwer verletzt worden. Ihr Vater wird wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.