Wenn Holger Fassmer über die Fassmer-Werft spricht, hört man schnell heraus: Das Schiffbauunternehmen am Weserufer in Berne ist nicht nur Arbeitsplatz, sondern Lebensgeschichte. Sechs Jahrzehnte der 175-jährigen Unternehmenshistorie hat Holger Fassmer, der die Werft in fünfter Generation gemeinsam mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Harald führt, bewusst miterlebt. Höhen und Tiefen.
Zu den absoluten Höhen zählt seine Kindheit in Bardenfleth. "Es hat einen Mordsspaß gemacht, im Lager zu spielen", schwärmt Holger Fassmer noch heute. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts war der Berner Ortsteil aufgrund der idealen Lage an der Weser eine Hochburg des Schiffbaus. Auch Schiffszimmermann Johann Fassmer, Holger Fassmers Ur-Ur-Großvater, errichtete dort 1850 seinen Ein-Mann-Betrieb. Mehr als 100 Jahre diente der Gründungsstandort als Produktionsstätte. Als er zu klein wurde, kaufte die Werft 1959 eine vor dem Deich gelegene Fläche im benachbarten Ortsteil Motzen und zog um. Die Hallen in Bardenfleth dienten fortan als Lager – und Holger Fassmer und seinen drei Geschwistern als geheimer Spielplatz.
Ein Geruch, der bleibt
Der neue Standort in Motzen reizte hingegen den Jugendlichen. "Ich habe meine ersten Fahrversuche auf dem Werksgelände gemacht. Die Wagen standen hier so rum", erzählt der Werftchef mit einem charmanten Lächeln. Die Eltern mussten von den kleinen Einlagen ja nichts wissen.
Auch ein Geruch ist dem 64-Jährigen aus seiner Kindheit in Erinnerung geblieben. Der Geruch von Polyesterharz. "Wir waren eines der ersten Unternehmen, das in Europa mit GFK experimentiert hat. Ein Geruch, der einem nie wieder aus der Nase gegangen ist." Aufgrund neuer Werkstoffe und veränderter Lüftungstechnik sei die Geruchsentwicklung glasfaserverstärkter Kunststoffe heute nicht mehr so prägnant.

Die ersten Hallen der Fassmer-Werft im Berner Ortsteil Bardenfleth dienen heute der örtlichen Dorfgemeinschaft als Domizil. Im Wohnhaus neben dem Unternehmensgelände wohnte die Familie Fassmer.
"Das Thema Firma war jeden Tag präsent", erinnert sich Holger Fassmer. "Da spürt man schon als Kind, was es bedeutet, so ein Unternehmen zu führen." Er ist mit den Jahren in die Verantwortung hineingewachsen – mit dem Gedanken: "Ich möchte die Werft weiterführen". Druck von elterlicher Seite, gab es nicht. "Das war eine freiwillige Entscheidung." Seine ältere Schwester sowie sein jüngster Bruder entschieden sich gegen einen Einstieg ins Unternehmen.
Sprung ins kalte Wasser
Nach ihrer Schulzeit kehrten auch Holger und Harald Fassmer der Familienwerft vorübergehend den Rücken. "Ich habe bei Lürssen Maschinenbau gelernt, während mein Bruder bei A&R eine Ausbildung zum Boots- und Schiffbauer absolviert hat." Für beide folgte ein vertiefendes Universitätsstudium. Der Ältere hängte noch ein kaufmännisches BWL-Studium an, bevor er im Bereich Controlling und Faserverbundtechnik in die Familienwerft einstieg. Der Jüngere bildete sich auf der Meyer-Werft in Papenburg weiter.
Dass die Brüder das operative Geschäft bereits 1992, kurz nach ihrem Eintritt ins Unternehmen, übernahmen, war ungeplant und ein Sprung ins kalte Wasser. Holger Fassmer. "Mein Vater war nach einer Hirnblutung von einem Tag auf den anderen nicht mehr im Unternehmen." Als Berater stand Heinz Fassmer seinen Söhnen allerdings weiterhin zur Seite. "So ganz trennt man sich nie vom Unternehmen", hat Holger Fassmer bereits in seiner Kindheit gelernt. "Mein Großvater hat schon ständig meinen Vater gefragt, was es Neues im Unternehmen gibt. So war es auch bei uns. Und ich kann mir gut vorstellen, dass sich das in unserer Generation fortsetzt."
Beteiligungen in aller Welt
Seit mehr als 30 Jahren führen Holger und Harald Fassmer jetzt die Werft, die sich in dieser Zeit zum Global Player entwickelt hat – also weltweit agiert. Das Portfolio hatte hingegen bereits Heinz Fassmer ausgedehnt. 1977 stieg das Unternehmen als Produzent von Kunststoffdächern in die Fahrzeugindustrie ein – als Zulieferer von VW. Dennoch sagt Holger Fassmer: "Wir sind im Wesentlichen eine Werft und so werden wir draußen auch weitgehend wahrgenommen."
1996 eröffnete die Werft in Rechlin in Mecklenburg-Vorpommern einen neuen Schiffbaustandort. Es folgten Joint Ventures und Tochtergesellschaften in Europa, Amerika und Asien. Die Motzener investierten in Flächen, Hallen, Fertigungstechnologien, eine Konstruktionsabteilung und die IT-Sicherheit. "Themen, die 1992 überhaupt nicht im Fokus standen." Mehr als 2000 Mitarbeiter sind heute weltweit für Fassmer tätig, allein 600 am Hauptstandort.
Eine schwere Zeit hat die Werft in Verbindung mit der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg durchgemacht. "Es gab massiv gestörte Lieferketten und Preissteigerungen", blickt Holger Fassmer zurück. "Das zerriss uns jede Kalkulation." Noch immer spüre die Werft, die unter anderem Rettungs- und Tenderboote für die Kreuzfahrtindustrie baut, die Folgen der Pandemie für den Kreuzfahrtmarkt.
Nächste Generation steht bereit
Der Zukunft blickt Werftchef Holger Fassmer gespannt entgegen. "Unsere Hallen sind begrenzt. Dass die Schiffe zwingend größer werden, glaube ich nicht. Aber es muss ja nicht zwingend Schiffbau sein." Zum Schutz und zur Überwachung maritimer Einrichtungen werde an über und unter Wasser funktionierenden autonomen Systemen und Drohnen gearbeitet.
In den zurückliegenden 175 Jahren hat sich die Fassmer-Werft zu einem der größten Arbeitgeber der Region gemausert. "Obwohl wir sicherlich nicht am Nabel der Welt liegen", stellt Holger Fassmer stolz fest. Eine Herausforderung im Sinne der Mitarbeitergewinnung.

Schiffe, Schiffe, Schiffe: Die Fassmer-Werft hat sich vom Ein-Mann-Betrieb zum weltweit agierenden Unternehmen gemausert – mit mehr als Schiffbau.
35 Jahre ist Holger Fassmer im Betrieb aktiv. Seinen Ausstieg aus der Unternehmensführung plant er noch nicht. "Da gibt es keinen festen Termin." Wohl aber "die Vorstellung, schrittweise weniger zu machen und der nächsten Generation mehr und mehr die Zügel zu überlassen." Um die Zukunft der Werft ist ihm dabei nicht bange. "Von der sechsten Generation bringen alle Potenzial und Interesse mit. Und Ausbildungen, von denen man sagen kann, die passen zum Unternehmen", sagt Holger Fassmer und ergänzt: "Ich denke, es wird als Familienunternehmen weitergehen."