Piep. Piep. Piep. Das Müllfahrzeug setzt langsam und lautstark zurück. Doch nur die eindringlichen Warnsignale erklingen, Motorengeräusche gibt es nicht. An der Tankstelle zapft das Gefährt namens „Bluepower“ nämlich Wasserstoff. Brennstoffzellen treiben es an.
Im Fahrerhaus haben heute besondere Gäste Platz genommen: ein Minister und ein Vorstandsvorsitzender. Denn Bernd Althusmann ist an diesem Donnerstag auf seiner Sommerreise durch Niedersachsen nach Elsfleth zum Standort der EWE gekommen. Der Wirtschaftsminister schaut sich hier ein neues Projekt des Oldenburger Energiekonzerns an: In Huntorf produziert die EWE grünen Wasserstoff, eine Premiere im Nordwesten, wenn auch vorerst auf kleiner Flamme. Den Strom dafür liefert eine Fotovoltaikanlage in der Nähe. Und einen Abnehmer des Energieträgers hat die EWE heute mit dem „Bluepower“.
Neben EWE-Chef Stefan Dohler und Bernd Althusmann sitzt Burkard Oppmann im Fahrerhaus. Sein Unternehmen in Osterholz-Scharmbeck hat das Fahrzeug entwickelt. Seit vielen Jahren beschäftigt sich Faun mit alternativen Antrieben. Und nun soll endlich Tempo aufkommen. Die Männer mit Masken schleichen also leise für eine kurze Probefahrt im Wasserstoff-Müllfahrzeug davon.
Wirtschaftsminister Althusmann ist von dem Energieträger überzeugt. Wasserstoff werde als „Erdöl der Zukunft“ gehandelt. Gerade für den Nordwesten mit der Küste und den Häfen sieht er Potenziale. Die Windenergie könne maßgeblich zur Erzeugung von Wasserstoff genutzt werden. „Wir stehen
vor einem industriepolitischen Quantensprung, wenn wir die Chance jetzt nutzen“, betont Althusmann und spricht von einem „wahren Wasserstoff-Boom“ – auch in Niedersachsen.

Stefan Dohler (von links), Bernd Althusmann und Björn Thümler schauen sich den Elektrolyseur an. Dieser erzeugt den grünen Wasserstoff mit Solarenergie.
Für Initiativen des Bundes und der fünf norddeutschen Länder wünscht Althusmann sich aber mehr Tempo bei der Umsetzung. „Wir müssen uns jetzt richtig anstrengen. Das sage ich ganz bewusst, weil ich vermeiden möchte, dass Deutschland am Ende zu spät kommt.“ In den Niederlanden gebe es enorme Entwicklungen. In den Bemühungen hierzulande dürfe jetzt nicht nachgelassen werden: „Wir brauchen jetzt den großen Wasserstoff-Wurf in Deutschland.“ Althusmann plädiert etwa dafür, dass in den nächsten Jahren ein zweiter Wasserstoffzug zwischen Wilhelmshaven und Bremen Richtung Osnabrück fährt. Seine Vision geht weiter: Es müsse gelingen, im Norden eine Wasserstoffwirtschaft von den Niederlanden bis nach Skandinavien zu entwickeln. Wenn Deutschland bei Wasserstoff die Poleposition in Europa innehaben wolle, „müssen wir uns jetzt sputen.“
Der Wirtschaftsminister hält darum ein weiteres Projekt der EWE für sinnvoll, um „Gas zu geben“ beim Wasserstoff: „Hyways for Future“. Der Energiekonzern arbeitet hierbei mit mehr als 90 Partnern zusammen. Investiert werden 90 Millionen Euro in der Metropolregion Nordwest. „Das ist schon eine sehr substanzielle Zahl“, sagt der Vorstandschef der EWE Dohler. Zunächst geht es um Energie für den Mobilitätssektor, um neue Tankstellen. Was auf dem Gelände in Huntorf passiere, sei erst der Anfang, betont Dohler beim Besuch des Ministers. In Zukunft aber könnte in den Gaskavernen vor Ort im großen Stil Wasserstoff gespeichert werden.
Bremsen erzeugt Energie
Überhaupt sieht Paul Schneider das als Vorteil, Wasserstoff speichern und transportieren zu können. Der Ingenieur ist Experte für Wasserstoff bei der EWE und hat sich das Projekt in Huntorf mit ausgedacht. Noch sind es zwei Container: der Elektrolyseur zur Herstellung auf einer Seite und der Speicher daneben. Ganz in Sichtweite liegt aber das Gelände mit den Kavernen im Untergrund, um das Modell groß zu denken. Bevor das umgesetzt wird, müsse Absatz da sein – durch „Hyways for Future“ oder die Kooperation mit dem Stahlwerk von Arcelor-Mittal in Bremen. Nicht nur die Gaskavernen könnten dann einem neuen Zweck dienen, sondern auch die Erdgasleitungen, die ebenfalls umrüstbar seien.
Die EWE ist derweil mit fünf Brennstoffzellen-Autos unterwegs, die hier jetzt grünen Wasserstoff beziehen können. 666 Kilometer ließen sich damit fahren, sagt Schneider: „Und es ist vollgetankt in vier Minuten.“
Burkard Oppmann freut die Entwicklung in Sachen Wasserstoff. Der Weg für sein Müllfahrzeug sei herausfordernd gewesen. Für „Bluepower“ musste Faun kämpfen – auch bei Daimler. Der Geschäftsführer erinnert sich an ein Fußballspiel in Stuttgart. Werder habe die Partie zwar verloren, am Ende sei er sich mit dem Vorstand für die Lkw-Sparte jedoch einig gewesen: „Wir machen das.“ Mercedes arbeitet mit Faun zusammen.
Die Mühen haben sich gelohnt: Im Orderbuch stehen für dieses Jahr 20 der Wasserstofffahrzeuge. „Und im Jahr 2030 wollen wir nur noch emissionsfreie Abfallsammelfahrzeuge in unserem Werk in Osterholz-Scharmbeck herstellen“, sagt Oppmann. Das Besondere: Die vielen Bremsvorgänge auf der Sammeltour erzeugen Energie und das Fahrzeug treibt sich damit selbst elektrisch an. Erst auf der Langstrecke kommt die Brennstoffzelle ins Spiel. In Bremen soll eins der Fahrzeuge im August in Betrieb gehen.
15 Millionen Euro für Ostfriesland
Flaute bei der Windkraft und Wechsel zur E-Mobilität – um Ostfriesland einen Innovationsschub zu geben, stellt das Land 15 Millionen Euro bereit. Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) sprach am Donnerstag von einem Meilenstein für Ostfriesland. Der Emder Oberbürgermeister Tim Kruithoff (parteilos) zeigte sich enttäuscht über die Höhe. Zunächst soll eine Million Euro in eine Projektfabrik gesteckt werden: Der Wirtschaftsverband Ems-Achse soll gemeinsam mit der Hochschule Emden/Leer innovative Ideen für Unternehmen oder Start-ups entwickeln.