Wer den Blick von einer der acht Dachterrassen über die Weser schweifen lässt, schaut direkt auf den Vegesacker Stadtgarten und auf die oberhalb gelegenen Villen. Links kommen die Werfthallen und das Schwimmdock mit dem Lürssen-Schriftzug in den Blick, rechts die Unternehmenszentrale. Noch sind es die Handwerker, denen sich dieser Ausblick bietet. Bald werden es die bis zu 400 Mitarbeiter des NVL-Campus in Lemwerder sein. „Die Dachterrassen sind eine alternative Arbeitsumgebung – ideal, um den Blick zu weiten und kreative Ideen anzustoßen“, sagt Chantal-Marie Mildahn. Die NVL-Mitarbeiterin ist die verantwortliche Projektleiterin für den Campus.
Diesen lässt Naval Vessel Lürssen (NVL) gerade an der Industriestraße in Lemwerder bauen. Für externe Betrachter geht der Bau in Windeseile vonstatten. Erik Burschäpers vom ausführenden Unternehmen Goldbeck bestätigt diesen Eindruck. Er ist einer von drei Bauleitern, die die Arbeiten und die tätigen Handwerker koordinieren. Zwischen 30 und 100 sind es pro Tag. Circa 50 Unternehmen sind auf der Baustelle beschäftigt; viele davon aus der Region. Baustart war im August 2024. Der Spatenstich fand Ende September statt, die Gründungsarbeiten wurden im Oktober durchgeführt. „Am 4. November wurde das erste Fertigteil geliefert und verbaut“, sagt Burschäpers. Vor Weihnachten war der Rohbau des ersten Bauabschnitts bereits fertiggestellt und im Februar 2025 der dritte und letzte Bauabschnitt komplettiert.
Möglich macht die Geschwindigkeit eine systematisierte Bauweise. „Für einen effizienten Bauablauf sind die Gewerke in einwöchige Takte eingeteilt, in denen die jeweils vorgesehenen Arbeiten erledigt werden“, erläutert Burschäpers. Vorgegangen wird etagenweise. Elf an der Zahl gibt es. Drei im ersten Finger, wie die Gebäudeteile intern genannt werden, vier in den beiden anderen. Die einzelnen Arbeitsschritte werden mit ein bis zwei Wochen Differenz gestartet. Zahlreiche Baubesprechungen inklusive. Rund 35 waren es bisher für den Neubau. „Es ist ein dynamischer Prozess, in dem es immer wieder etwas zu entscheiden gibt“, sagt Mildahn. „Es macht Spaß, das gemeinsam anzugehen.“ Dass der Baufortschritt in den einzelnen Teilbereichen ganz unterschiedlich ist, gehört zum Konzept. Der aufgeständerte Energieboden mit seinem Schlauchsystem, das heizen und kühlen kann, liegt in einigen Etagen noch frei. In anderen wird bereits der Estrich gegossen, in wieder anderen schon die ersten der rund 17.000 jeweils 50 mal 50 Zentimeter großen Teppichplatten verlegt.
Das Aufständern des Bodens gibt den späteren Gebäudenutzern die Möglichkeit, die Raumkonzepte nachträglich zu ändern. Die notwendigen Kabel liegen in einer Art Zwischendecke, können bei Bedarf also anders positioniert werden. An einem Stück würden sie etwa von Bremen bis nach Dortmund reichen, hat die Projektleiterin überschlagen. „Wir wollen uns beim Raumkonzept die Flexibilität bewahren“, sagt Mildahn. Prinzipiell seien auf den rund 9700 Quadratmetern Bürofläche Großraumbüros vorgesehen. Geteilt allenfalls durch Glaswände. Ein Akustikkonzept mit verschiedenen Elementen wird dabei für einen zumutbaren Geräuschpegel sorgen. „Deshalb wird es unter anderem Silentboxen geben – kompakte, schallgeschützte Raum-in-Raum-Lösungen, in denen zum Beispiel vertrauliche Telefonate geführt werden können“, sagt Mildahn.
Den Fluss immer in Sichtweite
„Wir setzen im ganzen NVL Campus auf ein Shared-Desk-Konzept, bei dem die Mitarbeitenden sich flexibel einen Arbeitsplatz buchen können. Dadurch können zum Beispiel Teams bereichsübergreifend für spezielle Projekte zusammensitzen“, sagt NVL-Mitarbeiter Kay Hünefeld aus dem IT-Projektmanagement. Jeder Mitarbeiter hat also einen Stammplatz bei seinem Team, kann sich aber an jedem Arbeitsplatz in seinen persönlichen Bereich einloggen. Das Gebäude ist, wie das Raumkonzept, auf Begegnung und Austausch angelegt. Im Gebäude verteilt sind daher zusätzliche lockere Arbeitsbereiche; mal loungeartig, mal mit Stehtischen. „Der persönliche bereichsübergreifende Austausch spielt für uns eine zentrale Rolle und wir freuen uns darauf, noch mehr flexible Flächen dafür nutzen zu können“, sagt Hünefeld.
„Wir legen Wert auf Sichtbeziehungen: zum Nachbarschreibtisch, zum anderen Gebäude und als maritimes Unternehmen natürlich auch zur Weser“, sagt Mildahn. Der Weserblick wird auch auf den beiden Kaskadentreppen umgesetzt. Die gibt es in den beiden äußeren Gebäudeteilen. An einem langen Band verbinden sie das Erdgeschoss mit der jeweils obersten Etage. Rechts und links geht es auf die Büroflächen. Auch dies soll Begegnungen zwischen den Mitarbeitern fördern. „Wir sind überzeugt davon, dass der direkte Austausch effektiver ist als Telefonate oder Videokonferenzen“, sagt Hünefeld. Direkter Austausch soll auch in den Teeküchen möglich sein, die in den fünf Brückenübergängen zwischen den Gebäudeteilen eingerichtet werden. Selbstverständlich ist auch von dort die Weser sichtbar.
Neben dem dreigliedrigen Neubau umfasst der NVL-Campus einen Technikanbau und die kernsanierte alte Schule. Dort wird ein Kongresszentrum und eine Kantine errichtet. Umgesetzt wird all dies weitgehend barrierefrei und in puncto Nachhaltigkeit im Goldstandard der Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB).
„Vor der Kantine wird es einen Außenbereich zum Essen geben“, sagt Mildahn. Dieser wird sich in das begrünte Areal mit insgesamt 8200 Quadratmetern Rasenfläche eingliedern. Sogar ein Grillplatz ist eingeplant. Das Gesamtprojekt ist mit Kosten in Höhe von 25 Millionen Euro kalkuliert worden. Läuft alles nach Plan, werden im Dezember die Arbeiten abgeschlossen sein und der Campus schlüsselfertig an NVL übergeben werden.