Herr Miller, blickt man auf Ihre Karriere und die Spielorte der aktuellen Tournee, könnte man vermuten, dass die Begu als Auftrittsort ein wenig zu klein für Sie geworden sein dürfte. Warum gastieren Sie dennoch erneut in Lemwerder?
Die Anfangszeit als Comedian war für mich sehr schwer. Mein Stil war vielen zu eigen, sodass ich in den meisten Venues kaum Fuß fassen konnte. Erst durch Zitate und Empfehlungen von großen Künstlern wie Dieter Nuhr oder Olaf Schubert gingen die Türen langsam auf – nach dem Motto: "Wenn der Dieter das sagt, dann wird’s schon stimmen." Die Begu war da anders: Dort standen mir die Türen von Anfang an offen. Das ist für mich eine Frage von Dankbarkeit und Loyalität – und genau deshalb komme ich auch heute noch gerne zurück. Ein emotionaler Knebelvertrag, sozusagen.
Mit dem quasi benachbarten Bremen dürften Sie seit einem Ereignis am dortigen Hauptbahnhof im November 2023 ebenso schmerzhafte wie unangenehme Erinnerungen verbinden. Ist auch dies ein Grund, warum Sie Lemwerder als Auftrittsort vorziehen?
Ich habe keine Angst vor Bremen. Klar, ich hätte dort beinahe mein Leben verloren – und das für weniger als nichts. Am Ende habe ich überlebt, weil ich mich zu verteidigen wusste. Die Stadt jetzt komplett zu meiden, wäre fast eine Beleidigung für mein eigenes Ego.
Lauscht man Ihren Auftritten, entsteht leicht der Eindruck, Sie würden vor allem tatsächlich selbst erlebte Geschichten humoristisch aufarbeiten. Wie autobiografisch ist die Bühnenfigur Nikita Miller, wie viel haben Sie dazu gedichtet?
Alles. Ich glaube, ich werde der sein, der am Sterbebett nicht klagt, etwas verpasst zu haben. Mein Leben war unfreiwilligerweise so intensiv, dass ich mir heute vor allem Ruhe wünsche. Deshalb habe ich mich in die norwegischen Berge zurückgezogen – mit nichts als Fjorden und Wasser vor Augen und nur einem einzigen Nachbarn, den ich nie sehe. Wahrscheinlich verstehen wir uns deshalb so gut. Ich war schon davon ausgegangen, dass er vielleicht im Zeugenschutzprogramm sei.
Ihre berufliche Laufbahn vor Ihrer Bühnenkarriere liest sich ebenso bunt wie abenteuerlich – und auch jetzt erschließen Sie sich laufend neue Betätigungsfelder, unter anderem als Drehbuch- und Romanautor. Wird Ihnen schnell langweilig, wenn Sie immer derselben Tätigkeit nachgehen?
Leider ja. Als Künstler habe ich den Vorteil, dass ich ständig etwas Neues von mir geben kann. Aber auch da: Sobald ein Programm sitzt und ich es fünf-, sechsmal gespielt habe, will ich sofort etwas Neues schreiben. Vielleicht schreibe ich deshalb jedes Jahr gleich zwei Programme – während die Kollegen mit einem Programm zwei Jahre lang touren. Ich würde da irgendwann durchdrehen und womöglich irgendwann anfangen, auf der Bühne Schimpansenlaute von mir zu geben.
Welche kreative Situation ist Ihnen persönlich lieber: Die Auftrittsituation vor Publikum – oder das kreative Schaffen im stillen Kämmerlein?
Das hängt ganz von der Länge der Tour ab. Die ersten Tage genieße ich es, auf der Bühne zu stehen. Ab Tag sechs sehne ich mich zurück ins dunkle Kämmerlein – und wenn ich dort zu lange sitze, rede ich irgendwann mit meinen Möbeln. Dann ist es höchste Zeit, das Ganze wieder auf die Bühne zu bringen.
Sie wurden in Kasachstan geboren, besuchten einen Kindergarten in der Ukraine, wuchsen seit Ihrer Schulzeit in Deutschland auf, wo sie laut eigener Aussage dennoch noch heute zumeist als „Russe“ wahrgenommen werden. Bezieht sich Ihr aktueller Programmtitel „Es war einmal im Nirgendwo“ auf diesen Teil Ihrer Biografie – und auf mutmaßlich damit verbundene Identitätskonflikte?
Unter anderem, genau. Es ist kompliziert. Vor ein paar hundert Jahren sind Deutsche wegen Fachkräftemangel nach Russland ausgewandert – Klassiker. Haben wir heute auch noch, vor allem in der Regierung. Dann kam Stalin und hat alle Deutschen in Viehwaggons deportieren lassen – Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan; meine Großeltern hatten das Vergnügen, nach einer zweiwöchigen Zugfahrt ohne Essen, Trinken oder Licht in der kasachischen Wüste ausgesetzt zu werden. Dort beginnt meine Geschichte. Und als die Sowjetunion zusammenbrach, sind wir nach Deutschland gezogen – das war quasi mein Rückgaberecht. Aber ich erzähle in meinem Programm auch von dem Messerangriff in Bremen und wie die Regierung mich im Stich gelassen hat. Die Polizei meinte, ich solle zu dem Vorfall in der Öffentlichkeit schweigen. Andernfalls könnte man das gegen mich verwenden. Aber ich bin des Schweigens müde geworden.
Seit Beginn des Ukrainekriegs ist auch die Situation für russischstämmige Kulturschaffende in Deutschland mitunter schwierig geworden, sofern diese sich nicht häufig und öffentlichkeitswirksam genug vom russischen Präsidenten distanzieren. Haben auch Sie derartige Erfahrungen machen müssen? Hat sich der Umgang sowohl mit Kollegen als auch Publikum innerhalb der letzten drei Jahren verändert?
Ich habe mit Angriffen von allen Seiten zu tun – aber ich nehme sie nicht ernst. Viele Russen nennen mich Verräter, sagen, ich würde für Geld mein Land verkaufen und hätte Angst, die Wahrheit auszusprechen, um meine Karriere nicht zu verlieren. Das ist Schwachsinn. Vor allem, wenn es von Russlanddeutschen kommt, deren Großeltern die Deportationen durchlitten haben und die heute von russischem Patriotismus schwafeln. Und mal ehrlich: Als Russe einen Diktator lieben und einen Krieg befürworten, zu dem man selbst nie hinmuss – und das alles vom sicheren Deutschland aus – ist doch ein Witz für sich. Von der anderen Seite bekomme ich zu hören, ich solle ‚nach Hause‘ gehen, Russenhumor wolle niemand mehr hören. Auch da gilt: Jeder legt sich die Moral zurecht, die ihm passt. Ich war nie ein Fan des russischen Regimes. Aber wenn jemand laut fordert, Putin müsse sanktioniert werden, und gleichzeitig den Genozid in Gaza unterstützt – solche Leute nehme ich erst recht nicht ernst.
Sie kokettieren in Ihren Bühnenanekdoten häufig mit „typisch deutschen“ und „typisch russischen“ Charakteristiken. Wähnen Sie sich in dieser Hinsicht nicht bloß als Komiker, sondern zudem auch als eine Art interkulturellen Botschafter?
Ich glaube, jeder nimmt etwas anderes mit. Deutsche kommen, um den "Russen" besser zu verstehen – oder weil sie mit genug Russen in der Nachbarschaft groß geworden sind. Russen und Deutschrussen kommen, um sich therapieren zu lassen oder in Erinnerungen zu schwelgen. Gleichzeitig sind viele dankbar, dass ihre Geschichte endlich erzählt wird. Und Frauen kommen wahrscheinlich, um Männer besser zu verstehen. Leider kann ich da auch nicht helfen.
Wann und weshalb kam Ihnen der Gedanke, positive als auch negative Erlebnisse humoristisch aufzuarbeiten – und hieraus letztlich sogar erfolgreich einen Beruf zu machen?
Ich war schon immer der Entertainer in der Schule – und habe dafür auch einiges geopfert, nur um einen Witz zu testen. Außerdem hatte ich immer Autoritätsprobleme. Ich war stur, konnte selten meine Meinung für mich behalten. Für einen normalen Job mit Chef und Hierarchie war ich nicht gemacht. Künstler war da fast die einzige Option – oder Knast. Natürlich ist das ein harter Beruf: Wer nicht abliefert, fliegt schneller raus als C-Promi im Dschungelcamp. Die Bezahlung ist besser, ja – aber dafür gibts Druck, Einsamkeit und ständige Zweifel. Damit muss nicht nur ich leben, sondern auch meine Frau. Die ist im Grunde meine unbezahlte Managerin für Krisenintervention.
Das Gespräch führte Christian Pfeiff.