Willi Lemke hatte den richtigen Riecher. Er tippte exakt das 1:1-Unentschieden der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Katar gegen Spanien kurz vor dem Anpfiff der Partie bei der Live-Übertragung in der Begu Lemwerder auf der Großbild-Leinwand. Und er betitelte ein Unentschieden als Erfolg gegen die Iberer. So kam es dann ja auch. Zuvor hatte der ehemalige Werder-Manager, Senator und Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport im Dienste von Frieden und Entwicklung den rund 40 Zuhörern interessante Einblicke in seine Sicht auf die Situation im WM-Gastgeberland Katar und die Rolle des Fußballs gegeben.
Die Stunde vor dem Anstoß gehörte also der Auseinandersetzung mit den derzeit in allen Medien viel diskutierten Themen der Gastarbeiter in Katar, der dortigen Situation in Bezug auf die Menschenrechte und auch mit der Rolle und Verantwortung der Fifa, dem Weltfußball-Verband. „Die WM in Katar wurde 2010 von 22 Leuten im Fifa-Exekutivkomitee gekauft“, stellte Willi Lemke gleich zu Beginn der Veranstaltung fest, als sein Gastgeber, Begu-Leiter Timo von den Berg, ihn fragte, warum denn aktuell kaum jemand große Lust auf diese WM verspüre. „Es musste damals außerdem jedem bekannt gewesen sein, dass man im Wüstenstaat im Sommer kein Fußball spielen kann. Herr Blatter, damals Fifa-Präsident, hätte sagen müssen, das geht gar nicht. Hat er aber nicht, und damit ging das ganze Elend los“, lautete das Eingangsstatement von Willi Lemke. Er selbst allerdings habe sich auf den Fußball bei dieser Weltmeisterschaft gefreut, weil er den Sport liebe, so Lemke weiter.
Und damit schuf der 76-Jährige die Basis für seine folgenden, differenzierten Ausführungen. Er selbst habe in seiner achtjährigen Amtszeit als UN-Sonderberater 115 Länder besucht und viele, viele sehr arme Nationen gesehen. In Bezug auf die Bezahlung, die Arbeitsbedingungen und die Unterbringung der Gastarbeiter in Katar sei die Situation so schlimm wie es rüberkäme gar nicht. Auch in Deutschland sei Saisonarbeit üblich, führte Willi Lemke aus, wobei auch diese meist eher schlecht bezahlt sei. Außerdem, so der ehemalige Werder-Manager in seiner Erläuterung, müsse man auch auf die Geschichte des Staates Katar schauen, der erst 1971 gegründet wurde und in dem sich mit der Entdeckung riesiger Öl- und Gasfelder das Leben komplett verändert hat. „Nur rund zehn Prozent der Einwohner dort stammen aus Katar, die übrigen sind Gastarbeiter aus Asien und Afrika. Diesen Leuten geht es erstmal gut, wenn sie woanders Arbeit finden“, sagt Lemke. Und dann redete er seinen Zuhörern ins Gewissen: „Wir haben unseren Wohlstand anderen Menschen zu verdanken, die in Billiglohnländern in Asien arbeiten.“
Womit der Bezug auf Deutschland und Westeuropa und unsere – nach Willi Lemkes Auffassung nicht unbedingt faire – Sichtweise auf die Dinge am Golf hergestellt war. Timo von den Bergs Schwenk auf die Menschenrechte vor Ort ordnete Lemke mit seinen Beobachtungen in Deutschland ein. Auch in unserem Land sei die Gerechtigkeitsfrage noch nicht gelöst, die Armen würden immer ärmer, die Reichen immer reicher. Und Lemke erinnerte nochmals daran, woher unser westlicher Wohlstand komme. Rund 150 deutsche Firmen sollen nach seiner Einschätzung am Bau von Straßen, U-Bahnen und so weiter in Katar beteiligt gewesen sein. „Wir regen uns also auch auf, weil diese Firmen dort nicht die Verantwortung übernehmen, die Menschen dort vernünftig unterzubringen. Die Ungerechtigkeit im Land kann ich nicht wegdiskutieren, es müssen dort Veränderungen stattfinden. Gesetze sind schon geändert worden, diese Änderungen werden aber nicht vollständig umgesetzt“, konstatierte der Gefragte. Als Konsequenz seiner Einsichten in das uns Europäern so fremde Land forderte Willi Lemke grundsätzlichen Respekt vor den anderen ein. „Wir, der Westen, sollten nicht von oben herab auf andere schauen. Wir sollten fair miteinander umgehen und den Sport für Frieden und Entwicklung nutzen“, lautete sein Plädoyer.
Lemke geht von Halbfinaleinzug aus
Was sollte man aber denn nun anfangen mit dieser WM in Katar, und dürfe man überhaupt dort eine Fußball-Weltmeisterschaft stattfinden lassen, wollte Timo von den Berg abschließend von Willi Lemke wissen. Die Vergabe nach Katar sei definitiv fragwürdig, antwortete Lemke, allerdings wusste er auch von einer Studie zu berichten, dass insgesamt wohl nur rund 15 Nationen auf der Welt als WM-Ausrichter in Frage kämen, wenn man alle gewünschten Kriterien bei der Vergabe berücksichtigen würde. „Da können wir in Bezug auf die kommende WM 2026 auch schon mal die Situation der Menschenrechte und den Rassismus in den USA hinterfragen“, mahnte Willi Lemke an. Bei all der negativen Berichterstattung dürften wir nicht vergessen, dass es Millionen Menschen gibt, die sich auf diese WM gefreut haben. Und deshalb war sich Willi Lemke zum Schluss auch sicher, dass sich auch bei uns im Land die Begeisterung noch steigern wird, wenn die deutsche Mannschaft sich erst einmal für das Achtelfinale qualifiziert hätte. Wohin der Weg der Mannschaft von Bundestrainer Hansi Flick dann noch führen könnte? Keine Frage für Willi Lemke: „Wir kommen ins Halbfinale.“