Niedersachsens Kommunen ächzen unter einem Schuldenberg von mehr als 13 Milliarden Euro. Doch die Defizite sind ungleich verteilt: Vor allem im strukturschwachen Südosten und im Raum Cuxhaven haben die Kommunen faktisch keinerlei Spielraum mehr. Die Stadt Cuxhaven steht derart mit dem Rücken zur Wand, dass nur eine radikale Entschuldung noch helfen kann. Fusionspläne mit Nachbarstädten haben sich zerschlagen. Nun soll trotzdem ein Zukunftsvertrag mit dem Land wieder Handlungsoptionen öffnen.
An den belebten Stränden von Duhnen oder Döse merkt man es nicht – aber in Cuxhaven droht der absolute Haushaltsnotstand. Mit 7092 Euro steht Anfang 2014 statistisch betrachtet jeder Cuxhavener für Verbindlichkeiten seiner Kommune bei den Banken in der Kreide. Exakt zwei Jahrzehnte ist es her, dass die Stadt zum letzten Mal einen Haushalt ohne neue Schulden vorlegte. In dieser Zeit haben sich die Verbindlichkeiten in der Kämmerei auf rund 350 Millionen Euro summiert – im Verhältnis zur Einwohnerzahl ein einsamer Rekordwert in Niedersachsen. Allein in diesem Jahr wird die Verschuldung um 30 Millionen Euro anwachsen.
Im Landesdurchschnitt liegt die Verschuldung bei 1351 Euro pro Person, in Vorzeigegemeinden wie Burgwedel im Speckgürtel Hannovers lediglich bei 29 Euro. Und damit nicht genug: Cuxhaven finanziert dies überwiegend über kurzfristige Kassenkredite, die bei einem Anziehen der Zinsen die Schuldenquote rasch weiter aufblähen könnten. Vor allem gelten Kassenkredite als Ausdruck für die Handlungsunfähigkeit. Schließlich werden mit ihnen nicht dringend nötige Investitionen in öffentliche Infrastruktur finanziert, betont die Bertelsmann Stiftung in ihrem Finanzreport 2013. Sie sorgten nur dafür, dass in der Verwaltung nicht das Licht ausgeht, Mit einem Kassenkredit-Anteil von 89 Prozent an den Gesamtschulden liegt Cuxhaven auch hier an der Spitze in Niedersachsen.
Dabei ist die Misere keineswegs selbst verschuldet. Oberbürgermeister Ulrich Getsch verweist auf die periphere Lage an zwei Seiten von der Nordsee umspült und die schlechte Straßenanbindung in Richtung Osten. Damit fehlt es an Großindustrie und an Arbeitsplätzen. Eine hohe Abwanderungsrate unter jungen Leuten und ein hoher Altersdurchschnitt sind die Folge. Die Kommune versuchte, gegenzusteuern. Seit dem Jahr 2000 hat sie ihr Personal vor allem durch den Verkauf des Krankenhauses und des Altenpflegeheims sowie durch die Abgabe des Jugendamtes an den Landkreis Cuxhaven von 1378 auf 660 Beschäftigte mehr als halbiert.
Sonst bleibt wenig Handlungsspielraum: Lediglich fünf Prozent der Haushaltsmittel stehen für freiwillige Leistungen etwa für das Wattenmeerbesucherzentrum, die kulturellen Einrichtungen sowie für soziale Belange wie Stadtteil- und Jugendarbeit sowie für die Wirtschaftsförderung zur Verfügung. Von den geplanten Ausgaben in Höhe von rund 137 Millionen Euro in diesem Jahr sind die übrigen 130 Millionen für gesetzlich festgelegte Pflichtaufgaben reserviert. Den größten Anteil machen Sozialleistungen mit 52 Millionen sowie die Personalkosten mit 26 Millionen Euro aus. 8,5 Millionen Euro werden investiert.
So kann es in keinem Fall weitergehen. Cuxhaven droht die vollständige Handlungsunfähigkeit. Hinzu kommt, dass die Zukunft mittelfristig strukturell nichts Gutes ahnen lässt. Hatte die Stadt auf dem Höhepunkt ihres Wachstums Ende der 1960er-Jahre in der Spitze 61 584 Einwohner, so leben Anfang 2014 nur noch 48 500 Menschen im Stadtgebiet. Bis 2030 ist ein Absinken auf 40 000 Einwohner damit nicht auszuschließen. Dabei ist das Stadtgebiet schon heute durch zahlreiche Eingemeindungen sehr weitläufig. Im ebenfalls strukturschwachen Bremerhaven beispielsweise leben auf knapp 60 Prozent der Fläche mehr als doppelt so viele Einwohner. Es gab zahlreiche Gespräche mit Nachbarkommunen, um in größeren Einheiten Kosten zu sparen. Inzwischen sind jedoch die Stadt Otterndorf und die Gemeinde Sietland sowie Langen und Bad Bederkesa verschmolzen. Im November sollen Nordholz und Dorum folgen. Ringsum bleibt damit kein Kandidat übrig.
Dennoch strebt die Kommune nun einen Zukunftsvertrag mit dem Land an, der eigentlich an kommunale Neuordnung gebunden ist. Wenn Cuxhaven noch stärkere Synergien mit dem Landkreis sucht, könnte Niedersachsen 75 Prozent der Kassenkredite mit Stand 2010 übernehmen. Das wären immerhin 185 Millionen Euro. Die Sozialstruktur böte dann das Potenzial zum Neuanfang. An der Küste sind vor allem dank es Fremdenverkehrs verhältnismäßig weniger Menschen arbeitslos als in den norddeutschen Metropolen.
Im April lag die Arbeitslosenquote im Arbeitsamtsbezirk Cuxhaven bei sechs Prozent, in Hamburg dagegen bei 7,5 und in Bremen sogar bei 11,6 Prozent. Die Mittelschicht ist im Kreis deshalb nach Daten des Landesbetriebs für Statistik aus dem Jahr 2008 mit 81,6 Prozent leicht über dem Landesdurchschnitt von 78,4 Prozent vertreten. Nur zwölf Prozent der Einwohner sind von Armut gefährdet, niedersachsenweit sind es 14,5 Prozent.
Auf diesen insgesamt gesunden Verhältnissen lässt sich aufbauen, findet Stadtoberhaupt Getsch. Der Hafenumschlag ist im Kielwasser der internationalen Wirtschaftskrise 2012 und 2013 merklich gesunken. Trotzdem ist die Stadt mit ihrer maßvoll gewachsenen, diversifizierten Infrastruktur im Hafen, produzierenden und Dienstleistungsgewerbe sowie im Tourismus recht krisenfest aufgestellt.
„Insbesondere im Bereich der Offshore-Windenergie hat sich Cuxhaven mit zahlreichen Alleinstellungsmerkmalen zu einem der führenden Standorte Europas entwickelt“, glaubt Getsch. Und seit 2011 weiß er SPD, CDU und Grüne im Stadtrat beim Thema Entschuldung in breiter Phalanx hinter sich.