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Initiative kämpft für Tierschutzrichtlinie Das Leiden der Hochleistungskühe

Hannover·Brüssel. Eine Hochleistungskuh gibt heute 9000 Liter Milch im Jahr. Eine Weide kennt sie nicht. Erstmals gibt es jetzt eine Initiative, die sich für eine europäische Tierschutzrichtlinie für Milchkühe stark macht.
03.04.2013, 05:00 Uhr
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Das Leiden der Hochleistungskühe
Von Silke Looden

Hannover·Brüssel. Eine Hochleistungskuh gibt heute 9000 Liter Milch im Jahr. Die Tiere bekommen Kraftfutter und werden zu Hunderten ganzjährig in großen Laufställen gehalten. Eine Weide kennen sie nicht. Erstmals gibt es jetzt eine Initiative, die sich für eine europäische Tierschutzrichtlinie für Milchkühe stark macht.

"Schenk den Kühen Deine Liebe und unterstütze die Kampagne für ein glücklicheres Kuhleben", wird der Besucher auf der Internetseite "happycows.eu" begrüßt. Unter dem Titel "supporting better dairy" fordern die Macher der Seite dazu auf, eine EU-Tierschutzrichtlinie für Milchkühe zu unterstützen. Hinter der Kampagne stehen Unternehmen wie die Milcheisfirma "Ben & Jerry’s" und Umweltverbände wie der "World Wide Fund for Nature" (WWF), aber auch regionale Milchbauern sowie Wissenschaftler.

"Reine Stallhaltung ist modern, denn sie spart Arbeitsaufwand und setzt wertvolle Agrarflächen für andere Zwecke frei. Die Milchkühe leiden derweil aufgrund der einseitigen Überzüchtung auf hohe Milchleistung an Euterentzündungen, Fruchtbarkeitsstörungen, Klauenerkrankungen und Lahmheit", erklärt der Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung "provieh" in Kiel. Schlechte Haltungsbedingungen wie die noch immer weit verbreitete Anbindehaltung schränkten das Wohlbefinden der Tiere ein. Zudem würden die Tiere im Kälberalter unbetäubt enthornt, damit sie gefahrlos auf engem Raum gehalten werden können.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden 62 Prozent der Milchkühe in Deutschland in Laufställen gehalten, 27 Prozent stehen wie früher in Anbindehaltung, also am Strick. Die Europäische Union ist mit circa 23 Millionen Milchkühen der Welt größter Milchproduzent. In Deutschland gibt es etwa 4,2 Millionen Milchkühe, in Niedersachsen etwa 800000. Diese produzieren pro Jahr gut sechs Milliarden Liter Milch. Damit kommt jeder fünfte Liter Milch in Deutschland aus Niedersachsen. Dies geht aus den offiziellen Statistiken der Europäischen Union, Deutschlands und Niedersachsens hervor.

Anders als für Legehennen, Masthühner, Kälber und Schweine gibt es bislang keine EU-Tierschutzrichtlinie für Milchkühe. Nach Angaben des niedersächsischen Agrarministeriums gelten nach wie vor die Empfehlungen des Europarates von 1988. In Niedersachsen gibt es seit 2007 eine "Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung". Diese legt Mindestanforderungen fest und gibt laut Landesamt für Verbraucherschutz Empfehlungen für mehr "Kuh-Komfort". Demnach ist die reine Anbindehaltung für Neubauten nicht mehr zulässig. Bei Altbauten müssen die Kühe zumindest im Sommer Zugang zur Weide haben. Elektrische Viehtreiber sind laut Leitlinie verboten. Für die Enthornung von Kälbern wird eine Betäubung empfohlen, ist aber nicht zwingend. Niedersachsen unterstützt eine EU-Tierschutzrichtlinie für Milchkühe und hat seine eigene Leitlinie als Grundlage zur Verfügung gestellt.

Das Bio-Siegel soll dem Verbraucher garantieren, dass die Kühe laut EU-Bio-Verordnung gehalten werden und somit Bio-Futter bekommen. Die Kontrolle obliegt den Bundesländern. Bioland, Demeter oder Naturland haben zusätzlich eigene Verbandsrichtlinien, die den Tieren mehr Platz im Stall und Auslauf gewähren. Auch Neuland-Bauern legen Wert auf eine artgerechte Haltung. Die Tiere bekommen heimisches, gentechnikfreies Futter. Bio-Produkte im Sinne der EU-Verordnung sind es allerdings nicht. Deshalb tragen Neuland-Produkte auch kein Bio-Siegel.

"Billig-Bio unterstützt nicht die bäuerlichen Betriebe in der Region und ist in den meisten Fällen nicht nachhaltig", sagt Biolandwirt Ulrich Vey aus Bremen-Blumenthal. Für ihn ist die industrielle Produktion von Bio-Erzeugnissen eine zweifelhafte Massenware.

Die europaweite Initiative für eine bessere Milchwirtschaft setzt sich für eine "tiergerechte Fütterung und artgerechte Haltung der Kühe" ein. Dabei geht es um den täglichen Zugang zur Weide während der Wachstumsperiode, ein Verbot von Einzelboxen, Anbindehaltung und Elektrotreibern, die Pflicht zur Betäubung bei Kastration, Enthornung und Brandzeichensetzung. Zudem solle die Milchleistung die natürlichen Verhaltungsmuster der Kuh nicht einschränken, heißt es in dem Antrag für eine EU-Richtlinie. Die Forderungen der Initiative "happycows.eu" gehen weit über die niedersächsische Leitlinie hinaus.

Eine Hochleistungskuh gibt heute bis zu 9000 Liter Milch im Jahr. Eine Kuh, die von Frühjahr bis Herbst ganztätig auf der Weide grast, bringt es hingegen nur auf 6000 Liter Milch im Jahr. Gleichwohl könne sich die Weidehaltung für Betriebe in Grünland-Regionen durchaus rechnen, meint Lucas Kiefer von der Universität Stuttgart-Hohenheim, da die Kühe weniger teures Kraftfutter bräuchten und deutlich länger lebten. Dies bestätigt auch das Forschungsinstitut für biologische Landwirtschaft (FibL).

Der niedersächsische Bauernverband Landvolk sieht dagegen keine Veranlassung für eine europäische Tierschutzrichtlinie für Milchkühe. Sprecherin Gabi von der Brelie verweist auf große Unterschiede in der EU, sowohl bei der Kuhhaltung als bei der Struktur der Milchwirtschaft. Diese ließen sich schwerlich in einer Richtlinie zusammenführen. Das Landvolk setzt auf die Umsetzung des niedersächsischen Tierschutzplanes. Im übrigen zeichneten sich Milchbauern durch eine gute Tierbeobachtung aus, so von der Brelie. Diese sei effektiver als neue Vorgaben von EU-Bürokraten.

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