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Brut- und Setzzeit Die Gefahr droht im Feld

Immer größere und schnellere Mähmaschinen sind während Brut- und Setzzeit im Grünen unterwegs. Akustische Warner sollen Schalenwild und Bodenbrüter vor dem Tod im Kreiselmäher bewahren.
28.04.2018, 20:58 Uhr
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Die Gefahr droht im Feld
Von Justus Randt

Da kommt was auf sie zu: Rehkitze, Kiebitze, Fasane und Junghasen leben gefährlich. Die Brut- und Setzzeit vieler Wildtiere fällt zusammen mit dem Zeitpunkt der ersten Mahd. Die Kreiselmäher der Landwirte und Lohnunternehmen stehen zum Start bereit, zum ersten Schnitt von Grünland und Grünroggen.

Um Wildtierverluste, sogenanntes Vermähen, zu verhindern, geben Landesjägerschaft, Landesbauernverband und Landwirtschaftskammer Niedersachsen gemeinsame Empfehlungen heraus. Dabei ist Vertreibung Trumpf, die Wildtiere zu beunruhigen, auf dass sie das Weite suchen vor den gewaltigen Mähmaschinen. Die Methoden unterscheiden sich grundlegend.

„Eine effektive Wildtierrettung beginnt bereits vor der Mahd“, erinnern die Verbände an die richtigen Schritte. „Die geplanten Erntetermine müssen rechtzeitig, mindestens 24 Stunden vorher, mit dem Jagdpächter abgesprochen werden.“ Aber die Landwirte können auch selbst etwas tun: das Gelände mit Jagdhunden absuchen, Knistertüten oder Flatterbänder anbringen oder elektronische Wildscheuchen (Wildretter) einsetzen, um die Wildtiere rechtzeitig zu vertreiben.

2,5 Millionen Euro für Forschung

Unter der Bezeichnung Wildretter war bereits 2008 ein Langzeit- und Gemeinschaftsprojekt angelaufen, in dem Elektronikunternehmen, Landmaschinenhersteller und auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik versuchten, Infrarottechnik zur Rehkitz-Rettung zu verfeinern. Im Jahr 2012 hatte das Bundesforschungsministerium 2,5 Millionen Euro dafür bewilligt. Bundesweit werden in jeder Saison etwa 500.000 Tieren durch landwirtschaftliche Mähmaschinen getötet – eine grobe Schätzung.

An Mähern und auch an Drohnen angebrachte Infrarotsensoren sollten vor allem Rehe frühzeitig erkennen und den Maschinenführer warnen. „Die Technik ist aber nicht so weit, dass das flächendeckend nutzbar wäre“, sagt Johann Högemann, der lange bei der Landwirtschaftskammer im Bereich Pflanzbau und Pflanzenschutz gearbeitet hat.

Als Obmann für Naturschutz in der Jägerschaft Lingen beschäftigt er sich mit dem Thema „Verhinderung von Mähtod“. Die Körpertemperatur von Rehen, sagt er, liege etwas unter der des Menschen und sei der Umgebungstemperatur mitunter schon zu ähnlich, um schnell genug einen Alarm auszulösen. Zu teuer sei der Einsatz auch: „Wenn beispielsweise eine Auflage zum Drohneneinsatz käme, hätten wir 15 bis 20 Euro Mehrkosten bei der Bearbeitung je Hektar.“

Högemann schwört auf akustische Warner, deren schrilles Piepen mit 110 Dezibel laute Landmaschinen noch deutlich übertöne. „Als Praktiker arbeiten wir gerne mit dem, was wir haben.“ Das seien derzeit etwa 400 Geräte in der Region Lingen, bis zum Sommer sollen noch 200 dazu kommen. „Wir verleihen die Warner niedersachsenweit“, bis zu 2000 Geräte seien im Bundesland verbreitet, nimmt er an.

Rund 30 Euro koste ein Pieper, wenn man sich die Bestandteile im Elektronikmarkt beschaffe und sie selbst zusammenbaue. Das ist nicht die Welt angesichts der zigtausend oder mehr Euro, die Landmaschinen kosten. „Theoretisch könnte man so einen Warner an jedes Ackergerät anbauen“, sagt Johann Högemann. Aber auf serienreife Ausstattung mit regulärer Zulassung zu warten, erfordere einen langen Atem.

„Die Landmaschinenindustrie ist auf den Vorschlag auch gar nicht eingestiegen.“ Es ist wie beim Start in die Motorradsaison, man müsse jedes Jahr wieder vor den Gefahren warnen: „Und daran erinnern, wie wichtig es ist, dafür zu sorgen, dass sich das Wild rausziehen kann“, sagt Högemann. „Die Muttertiere haben ja einen Rückzugsinstinkt.“

Jägerschaften sollen informiert werden

Kitze hingegen haben einen anderen und gehorchen ihm in den ersten Lebenswochen: Sie verharren, auch bei intensiver Störung, und weichen nicht vom Fleck. Auch nicht, sagt Högemann, wenn ein sogenannter Schmetterling auf sie zukomme, ein Schlepper mit Mähwerken vorn, links und rechts.

Noch ehe die Mahd Anfang Mai richtig losgeht, will der Lingener Naturschutzobmann in möglichst vielen Jägerschaften über das Thema informieren. Termine in Cloppenburg, Aurich und Springe seien verabredet. Im Nordosten Niedersachsens gebe es aber auch Gegenden, „in denen noch niemand von Wildwarnern gehört hat“, erzählt Högemann staunend.

Dem verbesserten Schutz der Wildtiere, erläutert der Jäger, stehe entgegen, dass sich die Situation durch „zunehmende Zweitkulturennutzung“ durch Grünroggen und Mais für die Biogasproduktion verschärfen. Manches Mähwerk ist heute inzwischen 13 Meter breit. Und die Maschinen können mittlerweile bis zu 15 Kilometer pro Stunde schnell werden.

Die Zeit beim Mähen ist knapp

Hauptproblem ist und bleibt aus Sicht Johann Högemanns aber die Überschneidung von Mahd- sowie Brut- und Setzzeiten. „Rund 700 000 Hektar Grünland in Niedersachsen und Bremen werden zur Grassilagenutzung gemäht. Das ist eine unwahrscheinlich große Menge, die da steht und innerhalb von zwei bis drei Wochen geschnitten wird.“ Sechs Wochen später stehe bereits der zweite Schnitt an.

„Wenn man ein Kitz erwischt, merkt man das schon“, sagt Högemann. Bei Hasen oder Fasanen sei das weniger wahrscheinlich. Außerdem: „Niemand steigt gleich ab, um zu sehen, was das war. Dazu ist die Zeit bei großflächigen Arbeiten zu knapp.“ Dennoch ist ihm, anders als aus Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Baden-Württemberg, kein niedersächsischer Fall bekannt, in dem ein Landwirt nach einem Mähunfall wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz vor Gericht gestanden hätte. „Vielleicht“, vermutet er, „weil wir wirklich etwas unternehmen und damit schon so weit sind.“

So wenig messbar der Erfolg auch ist: Johann Högemann hat „positive Resonanz“ von Landwirten und Lohnunternehmern bekommen. Dank des Wild-Piepers würden 50 bis 70 Prozent weniger Tiere getötet. Auch das lässt sich nur schätzen. „Die merken das an den Rabenkrähen, die anschließend kommen und den Kadaver holen.“

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