Ein teures und rechtlich fragwürdiges Gutachten aus seiner Zeit als Kultusminister holt Niedersachsens CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann jetzt ein. Sein Ministerium soll damals unter Verstoß gegen Vergaberegeln gezielt eine Gefälligkeitsexpertise in Auftrag gegeben haben, um die umstrittene Praxis mit den Honorarkräften an Ganztagsschulen trotz entsprechender Rügen des Rechnungshofes und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu rechtfertigen. Der damalige Staatssekretär Stefan Porwol habe das erwünschte Ergebnis des 208 369 Euro teuren Gutachtens mit einer Berliner Anwaltskanzlei vorher abgesprochen und auf vergaberechtlich vorgeschriebene Vergleichsangebote verzichtet, heißt es in einer Antwort der rot-grünen Landesregierung auf eine Anfrage der SPD-Fraktion. „Die Vergabe des Gutachtens weist deutliche Mängel auf.“ CDU-Chef Althusmann spricht dagegen von einem „korrekten Verfahren“.
Laut Landtagsdrucksache, die dem WESER-KURIER vorliegt, habe es überhaupt „keine fachliche Notwendigkeit“ für eine externe Expertise gegeben; man habe damals auf eine „fundierte Gesamtkostenabschätzung“ verzichtet und eine unzulässige Direktvergabe durchgeführt. Der Auftrag an die Anwälte habe ausschließlich politische Gründe gehabt. „Der Gutachtenbedarf ist zur Beruhigung der Lage zwingend“, wird aus einem Vermerk Porwols vom 18. Dezember 2011 zitiert.
Um ihr Nachmittagsangebot mit Hausaufgabenbetreuung, Arbeitsgruppen, Sport- und Musikstunden sicherzustellen, hatten seit 2002 etliche Ganztagsschulen Tausende Honorarverträge abgeschlossen. Das rief jedoch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) auf den Plan. Es handle sich hier nicht um freiberufliche Tätigkeiten, sondern um weisungsgebundene Beschäftigungsverhältnisse. Die Staatsanwaltschaft Hannover nahm Anfang 2011 Ermittlungen wegen Sozialabgabenbetrugs gegen Unbekannt auf.
Ende November 2011 setzte Minister Althusmann aufgrund des öffentlichen Drucks die Honorarpraxis vorläufig aus. Zum Schulhalbjahr ab 1. Februar 2012 drohten damit große Teile des Ganztagsangebots zu platzen.
„Althusmann stand mit dem Rücken zur Wand. Da musste ein Befreiungsschlag her, den der Steuerzahler teuer bezahlen durfte“, kritisiert SPD-Parlamentsgeschäftsführer Grant Hendrik Tonne. Dem CDU-Minister sei die Unzulässigkeit der Honorarvertragspraxis seit Jahren bekannt gewesen, dennoch habe er nicht gehandelt. Erst SPD-Amtsnachfolgerin Frauke Heiligenstadt habe für Rechtssicherheit gesorgt. Ende 2013 schloss das Land einen Vergleich mit der DRV und entrichtete nachträglich rund 13,4 Millionen Euro an Sozialabgaben. Heute sind Honorarverträge nur noch in begründeten Einzelfällen möglich.
Der CDU-Chef weist im Gespräch mit dem WESER-KURIER die Darstellung der Landesregierung zurück: „Zum damaligen Zeitpunkt bedurfte es einer sozial- und arbeitsrechtlich fundierten Expertise einer unabhängigen Stelle gegenüber der Staatsanwaltschaft und den Rentenkassen.“ Diese sei „von großem Nutzen“ gewesen. Die freihändige Vergabe an die Berliner Anwälte sei rechtlich einwandfrei verlaufen; deren Honorar liege „im Rahmen der üblichen Sätze für Großkanzleien“. Althusmann spricht denn auch von einem durchsichtigen SPD-Wahlkampfmanöver und dreht den Spieß um: „Aus heutiger Sicht ist es unverständlich, wie die rot-grüne Landesregierung ohne rechtliche Verpflichtung eine zweistellige Millionensumme an die Rentenversicherung zahlen konnte.“