Also doch: Es soll ein Drogenexperiment gewesen sein, das die 29 Seminarteilnehmer in Lebensgefahr gebracht hat, möglicherweise sogar mit Sekten-Hintergrund. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur handelt es sich bei den beiden Organisatoren der Veranstaltung in Handeloh um eine Heilpraktikerin und einen Psychologen aus der Region Aachen, die sich auch mit der sogenannten Psycholyse befassen. Dabei soll mit Hilfe von Drogen eine Art Bewusstseinserweiterung erreicht werden. Wiederholt ist es dabei in den vergangenen Jahren zu schweren Zwischenfällen gekommen. So verlief im März 2009 eine solche Sitzung in Berlin für zwei Teilnehmer tödlich.
„Die Gruppe war schon früher bei uns und ist da in keinster Weise aufgefallen“, sagt Stefka Weiland, Geschäftsführerin des Tagungszentrums „Tanzheimat Inzmühlen“. Sie ist noch immer fassungslos. „Das waren Heilpraktiker, Ärzte, Homöopathen und Psychologen.“ Ein Fachwerkhaus mit Reetdach, ein weitläufiges Grundstück mit großen Bäumen und frisch gemähtem Rasen – das Tagungszentrum strahlt Ruhe aus. Kaum vorstellbar, welche Szenen sich hier am 4. September abgespielt haben, als die Teilnehmer mit Wahnvorstellungen, Krämpfen, Luftnot und Herzrasen in Krankenhäuser gebracht werden mussten.
„Ich habe an dem Freitag im Garten Schreie gehört und bin runtergelaufen“, berichtet Weiland. „Da lagen zwei Menschen auf dem Rasen, eine weitere Person saß im Eingang und übergab sich. Eine Frau lag bereits an der Straße.“ Die übrigen Teilnehmer hätten im Tagungsraum gelegen, gestöhnt und sich gewunden. „Auch die beiden Seminarleiter waren nicht ansprechbar“, sagt Weiland. Sie ruft den Notarzt, es wird ein Großeinsatz der Rettungskräfte, an der Straße stehen reihenweise Unfallwagen, auch ein Hubschrauber kommt.
In der vergangenen Woche hatte bereits der Schweizer „Tagesanzeiger“ berichtet, dass der Organisator ein enger Vertrauter des Schweizer Therapeuten Samuel Widmer sei, auch deutsche Medien hatten über einen möglichen Psycholyse-Zusammenhang berichtet. Widmers „Kirschblütengemeinschaft“ wird von der Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche als „problematisch“ eingestuft, Kritiker sprechen von einer Sekte. Die Sprecherin der Gruppe war kurzfristig nicht erreichbar.
„Mit Psychotherapie und Medizin hat die sogenannte Psycholyse nichts zu tun“, betont Iris Hauth, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). „Wenn jemand zu diesem Zweck illegale Drogen verabreicht, dann ist das eine Straftat. Außerdem wird dabei dem Machtmissbrauch durch den Therapeuten Tür und Tor geöffnet.“
„Ich habe kein Verständnis für Drogen, auch nicht zur Bewusstseinserweiterung“, sagt Stefka Weiland. „Das ist konträr zu unserer Arbeit“, betont sie. „Hier geht es um Ruhe in einer idyllischen Umgebung, um Bewegung und Tanz. Wir fühlen uns missbraucht.“ Der Veranstalter habe nur die Räume gemietet, für die Inhalte des Seminars sei sie nicht zuständig. „Mit Esoterik haben wir nichts zu tun“, sagt sie.
Ob die Teilnehmer die Droge bewusst und freiwillig nahmen, ist noch offen. Die Polizei ermittelt weiter und gibt derzeit keine Auskünfte zu dem laufenden Verfahren heraus. Es sollen erst die Ergebnisse der laufenden Befragungen und der Blutproben abgewartet werden. Die Polizei vermutet, dass die 24- bis 56-Jährigen die Szenedroge „2C-E“ genommen haben.
Stefka Weiland lässt der Vorfall bis heute nicht los. „Ich habe seitdem noch keine Nacht durchgeschlafen, im Geiste sehe ich immer noch die Leute auf dem Rasen. Sie sei „froh, dass alle überlebt haben.“ Der ganze Tagungsraum sei verwüstet worden, überall hätten blutverschmierte Matten und Kissen herum gelegen. Rettungskräfte hätten die Betroffenen vor Ort am Tropf versorgt. Stefka Weiland: „Wir werden den Veranstaltern eine Rechnung für die Schäden schicken.“
Die Psycholyse
◼ Die Anhänger der Psycholyse wollen mit Hilfe von Drogen eine Art Bewusstseinserweiterung erreichen. Die „psycholytische Therapie“ ist von den Kassen nicht zugelassen. Anhänger wie der Schweizer Psychiater Samuel Widmer sprechen auch von „Substanz-unterstützter Psychotherapie“. Wiederholt ist es dabei zu schweren Folgen gekommen. Dazu gehören etwa Depressionen, Hirnschäden, Krampfanfälle oder Herzrasen. Befürworter meinen, die Drogen würden die Wahrnehmung verstärken und das Bewusstsein steigern. Die Psycholyse gilt indes wissenschaftlich als nicht haltbar. Für Kritiker kommt es beim Einsatz von illegalen Drogen wegen der therapeutischen Machtposition zu einer doppelten Grenzüberschreitung.