Pflegende Angehörige und Menschen mit Rheuma, Asthma oder Herzkrankheiten können sich in Niedersachsen am kommenden Montag zum Impfen anmelden. Nach Lehrern und Feuerwehrleuten öffnet das Land jetzt in drei Schritten die gesamte Priorisierungsgruppe drei. Eine Woche später folgen Beschäftigte in Lebensmittelläden sowie Abgeordnete, Minister, Richter und Journalisten. Ab dem 31. Mai sind dann Wahlhelfer für die Kommunalwahlen und die Bundestagswahl im September, Hochschultätige und Beschäftige aus Unternehmen der kritischen Infrastruktur wie Pharmawirtschaft, Transportgewerbe, Telekommunikation und auch Bestattungswesen dran. Studenten gehören allerdings nicht dazu.
„Es geht um die individuelle Gefährdungslage“, erklärte Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) am Donnerstag in Hannover. Erst habe man sich vor allem am Alter und an medizinischen Gründen orientiert. Jetzt kämen Berufe mit vielen Kontakten an die Reihe. Im Impfportal des Landes würden die jeweiligen Priorisierungsmerkmale nach und nach freigeschaltet. Die Impfinteressenten müssen sich ihre Berechtigung vom Arzt oder Arbeitgeber bescheinigen lassen.
3,2 Millionen Menschen in Priorisierungsgruppe 3
Behrens appellierte an Praxen, Firmen und Dienststellen, dabei ehrlich und verantwortungsbewusst zu agieren. Das Land beachte bei der Reihenfolge streng die wissenschaftlich untermauerte Empfehlung des Bundes. In der Gruppe drei befinden sich laut Ministerium rund 3,2 Millionen Niedersachsen. „Wir bitten um Geduld, bis alle durchgeimpft sind“, sagte Behrens. Wenn die Impfkampagne aber weiter so gut laufe, könne man sich im Laufe des Junis von den Prioritätslisten verabschieden.
Soziale Brennpunkte: Schon deutlich früher will das Land Personen in besonders schwierigen Wohn- und Lebensverhältnissen immunisieren, um dort die Gefahr von größeren Corona-Ausbrüchen zu senken. Ab kommenden Montag sollen mobile Impfteams in Absprache mit den örtlichen Gesundheitsämtern solche prekären Quartiere aufsuchen. „Wir wollen nicht darauf warten, dass sich die Menschen dort von selbst melden“, meinte Behrens. Das Land will nun auch endlich den Zugang zum Impfportal in mehreren Sprachen öffnen.
Betriebsärzte: Ebenfalls nach diesem Wochenende startet der Modellversuch mit Betriebsärzten. Daran nehmen fünf große Unternehmen teil: Sartorius in Göttingen, Volkswagen in Wolfsburg, die Salzitter AG sowie der Drogeriekonzern Rossmann und der Lebensmittelhändler Rewe in Hannover. Bei der Auswahl der Firmen habe das Land neben großen Impfkapazitäten auch gefährdete Berufsgruppen, die nicht ins Home-Office könnten, und die Lage in Hochinzidenzkommunen berücksichtigt, erklärte die Ressortchefin.
„Bei Sartorius hat die besondere Relevanz für die Impfstoffproduktion eine Rolle gespielt“, sagte Behrens. Das Medizintechnik-Unternehmen, das die Ministerin vor zwei Wochen besucht hatte, ist ein wichtiger Zulieferer für den deutschen Hersteller Biontech. Für alle fünf Firmen stehen aber insgesamt lediglich 11.700 Dosen zur Verfügung. Diese dürfen im Rahmen des Tests auch nur an priorisierte Personen verimpft werden. Das richtige Impfen in Betrieben soll ab dem 7. Juni losgehen.
Impfstoffe: Eine bundesweite Freigabe des ins Gerede gekommenen Impfstoffs Astrazeneca für alle Altersgruppen würde Ressortchefin Behrens zwar begrüßen. In Niedersachsen stelle sich das Problem mit übriggebliebenen Dosen aber nicht. „Bei uns ist das eine Phantomdebatte; wir haben gar nicht so viel davon.“ Im Moment seien es 35.000 Rationen. Bei der Akzeptanz gebe es keine Probleme. Eine Benachteiligung sehe sie auch nicht durch den zeitlich großen Abstand zwischen der Erst- und Zweitimpfung. Dieser beträgt bei Astrazeneca drei Monate, während es bei Biontech drei bis sechs Wochen sind. Bei dem Vakzin von Johnson & Johnson genügt dagegen eine einzige Spritze. Der für Lockerungen und Befreiung von der Testpflicht notwendige „vollständige Impfschutz“ tritt also unterschiedlich schnell ein.
„Das ist eine sehr kleinteilige Debatte“, betonte Behrens. „Schon die erste Impfung ist ein großes Geschenk und bedeutet großen Schutz. Da kommt es auf wenige Wochen nicht an.“ Sie freue sich für alle Geimpften, da dadurch das Risiko für die gesamte Bevölkerung gesenkt werde, meinte die Ministerin, die selbst noch nicht geimpft ist.

Die niedersächsische Tourismus- und Gastronomie-Branche fordert von der Landesregierung Öffnungsperspektiven.
Tourismusbranche protestiert
Protest mit gemachten Betten und gedeckten Tischen: Vor dem Landtag forderte ein Aktionsbündnis aus Hoteliers, Gastwirten, Campingplatz-Betreibern und Vermietern von Ferienwohnungen von der SPD/CDU-Regierung erhebliche Nachbesserungen bei den Öffnungen für den Tourismus in Niedersachsen. Die von Urlaubern täglich geforderten Negativ-Tests seien für die Branche überhaupt nicht durchführbar, warnte der Geschäftsführer der Lüneburger Heide GmbH, Ulrich von dem Bruch. Auch die Verpflegungsfrage sei völlig offen. „Sollen sich unsere Gäste auf dem Zimmer mit dem Bunsenbrenner ihre Dose Ravioli warm machen?“
Als realitätsfern kritisierte die Vorsitzende des Vereins LandTouristik Niedersachsen, Martina Warnken, die Landeskinder-Regelung, wonach zunächst nur Gäste mit erstem Wohnsitz in Niedersachsen Urlaub machen dürften. „Unser Hof ist nur wenige Kilometer von der Bremer Landesgrenze entfernt“, sagte die Milchbäuerin, die nebenher acht Ferienwohnungen vermietet. „Wir gehen in denselben Supermarkt, dürfen aber die Bremer hier nicht empfangen.“
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zeigte zwar Verständnis für die Sorgen, rechtfertigte den Plan mit der immer noch grassierenden Pandemie. Niedersachsen stehe beim Infektionsgeschehen einfach besser als andere Bundesländer dar. Gerade im Interesse der Branche gehe es darum, mit sinkenden Ansteckungszahlen die Hauptreisezeit, nämlich die Sommerferien, zu erreichen. „Wir dürfen auf den letzten Metern der Wegstrecke keinen Fehler mehr machen.“