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Halbzeit bei der Arbeitszeitkontrolle Streit über die niedersächsischen Lehrer-Stunden

Die Bildungsgewerkschaft GEW untersucht wie viel die niedersächsischen Lehrer wirklich arbeiten. Hintergrund sind Diskussion über eine Steuererhöhung im Vorjahr. Das Kulturministerium reagiert skeptisch.
31.10.2015, 00:00 Uhr
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Von Peter Mlodoch

Drei Millionen Zeiteinträge sind bereits erfasst. Sie reichen von den normalen Unterrichtsstunden über Konferenzen und Pausenaufsichten bis hin zu abendlichen Telefonaten mit besorgten Vätern oder Müttern. In einer großen Studie untersucht ein Forscherteam der Universität Göttingen im Auftrag der Bildungsgewerkschaft GEW die tatsächlichen Arbeitszeiten der niedersächsischen Lehrer.

Ein ganzes Jahr lang sammeln dafür rund 3300 Pädagogen an 250 Schulen aller Formen tagtäglich die Daten ihrer dienstlichen Tätigkeiten. Private Dinge wie Essenspausen und Toilettengänge sollen sie dabei aussparen. „Wir legen das Tarif- und Arbeitsrecht hier streng aus“, sagt Projektleiter Frank Mußmann von der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften. Auch wer unter der Dusche an den nächsten Elternabend denke, dürfe dies nicht als Arbeitszeit aufschreiben. Plausibilitätskontrollen sollen mögliche Mogeleien verhindern. Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) bleibt dennoch skeptisch. Arbeitszeitstudien setzten „einen gründlich durchdachten Prozess“ voraus, daher seien sie derzeit nicht durchführbar.

Kommentar: Misstrauen

Das sehen die Göttinger Wissenschaftler freilich ganz anders. Weitere drei Millionen Einträge sollen schließlich noch folgen. „Diese dichte Erfassung sorgt für eine richtig breite statistische Basis“, betont Mußmann zur Halbzeit der Studie. Am ersten Schultag nach den Osterferien 2015 haben die Teilnehmer begonnen, ihre Arbeitszeiten aufzuschreiben oder in ihr Smartphone zu tippen; bis zum letzten Tag der Osterferien 2016 sollen sie es fortsetzen. „Wir erfassen damit ein volles pädagogisches Jahr“, erklärt der Wissenschaftler. Das unterscheide die Expertise erheblich von früheren Studien aus dem vorigen Jahrtausend. Diese seien nicht nur wegen der gestiegenen Anforderungen an den Lehrerberuf hoffnungslos veraltet, sondern hätten sich auch nur beispielhaft zwei Wochen herausgepickt.

GEW-Landesvizechefin Laura Pooth berichtet denn auch von interessierten Anfragen aus anderen Bundesländern. Die Lehrergewerkschaft verspricht sich von der Langzeitstudie, deren Kosten im unteren sechsstelligen Bereich liegen, ein realistisches Bild der zeitlichen Belastungen der Lehrkräfte. Die GEW wollte damit zunächst Argumente gegen die im vergangenen Schuljahr von Rot-Grün aufgebrummte Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung für Gymnasiallehrer um eine auf 24,5 Wochenstunden sammeln. Nachdem aber das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg im Juni diese Mehrarbeit bereits als verfassungswidrig gekippt hatte, will man jetzt auch die Dienstzeiten an den anderen Schulformen ins Visier nehmen.

Doch taugen die Daten dafür wirklich? Lädt das eigene Sammeln nicht geradezu zum Schummeln ein? „Als Beamte sind Lehrer zur Wahrheit verpflichtet“, zitiert Pooth das OVG, das die „Selbstaufschreibe“ ausdrücklich als geeignetes Instrument abgesegnet hat. „Es gibt keine Alternative dazu“, meint auch Forscher Mußmann. Ingenieure oder Juristen würden ebenfalls so verfahren. Bei ihrer Studie hat die Uni zudem eine Plausibilitätskontrolle eingebaut: Unrealistische Einträge fallen sofort auf, etwa wenn ein Lehrer fünf Dienststunden am Stück oder Unterricht am Samstag notiert. Gibt es keine vernünftige Erklärung dafür, wird der Datensatz des betreffenden Pädagogen zur Not komplett gelöscht.

Das sei allerdings eine seltene Ausnahme, sagt Mußmann. „Alle wissen, worauf es ankommt.“ Der Forscher lobt die hohe Teilnehmerzahl, die trotz des persönlichen Aufwands die Quoten bei üblichen Marktforschungsprojekten bei Weitem überträfe. Mit zusätzlichen Befragungen der Nicht-Teilnehmer und der Abbrecher wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob nur eine bestimmte Klientel mitmacht und so möglicherweise die Ergebnisse beeinflusst.

Dass am Ende übertrieben hohe Wochenstundenzahlen herauskommen, glaubt Mußmann nicht. „Die Besonderheiten mitteln sich aus.“ Im Übrigen werde man „grobe Ausreißer“ besonders kenntlich machen.

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