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Serie "Ein Schweineleben" Warum das Schwein doch nicht geschlachtet wird

Klein Sehlingen. Das Redaktionsschwein bleibt entgegen des ursprünglichen Plans doch am Leben. Wir wollten und konnten es nicht verantworten, dass Unbekannte, die sich bei Facebook zusammengetan hatten, die Bauernfamilie und den Schlachter bedrohen.
24.09.2011, 09:30 Uhr
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Warum das Schwein doch nicht geschlachtet wird
Von Peter Voith

Klein Sehlingen. Als wir uns vor Wochen mit Viehhändler Kruse aus Syke zum Interview trafen, sagte er: „Wenn Sie das Tier nicht schlachten, brauchen wir gar nicht weiterzureden.“ Klar werde es geschlachtet, das sei doch die letztendliche Bestimmung des Schweins, versprachen wir. Nun haben wir uns doch anders entschieden. Warum, werden Sie, liebe Leserinnen und Leser, fragen. Antwort: Wir wollten und konnten es nicht verantworten, dass Unbekannte, die sich im Netzwerk Facebook zusammengetan hatten, zunächst die Bauernfamilie Brüns mit etlichen Telefonanrufen bedrohten und Tage vor dem eigentlichen Schlachttermin dann auch noch Schlachter Richard Tödter aus Posthausen.

Er und seine Familie erhielten täglich zwei bis drei anonyme Anrufe mit Drohungen wie: „Wir kommen mit einem Fernsehteam und werden ihr Geschäft an den Pranger stellen.“ Oder: „Wir liegen auf der Lauer, wir wissen genau, wann das Schwein auf den Hof kommt und werden die Schlachtung verhindern.“ Richard Tödter ist eigentlich ein Mensch mit ruhigem und besonnenem Gemüt, aber das ging jetzt auch ihm zu weit. Er teilte uns mit: Er könne unser Schwein nicht schlachten, weil er andernfalls um die Existenz seines Familienbetriebs fürchten müsse.

Das hatten wir zu respektieren. Was also tun? Das Schwein trotzdem schlachten lassen von einem anderen Betrieb? Oder es auf einem Gnadenhof unterbringen? Wir holten uns Rat. Unter anderem von einer Juristin, die wir wegen ihres kühlen Kopfes schätzen gelernt haben. Ihr Fazit: „Wenn Menschen wirklich bedroht werden, weil ein Schwein geschlachtet werden soll, lohnt es sich nicht, durch die Wand zu gehen.“

Nun mag man einwenden, wir hätten uns von militanten Tierschützern bange machen lassen. Kann sein. Aber wir wissen nicht, wie weit diese Tierschützer tatsächlich gegangen wären. Auch die Polizei, die in den vergangenen Tagen wegen befürchteter Übergriffe auf den Hof häufiger Streife fuhr in Klein Sehlingen, empfahl uns: „Nehmen Sie die Bedrohungen nicht auf die leichte Schulter. Unter diesen sogenannten Tierschützern gibt es womöglich Extremisten, die zu allem fähig sind.“

Psycho-Terror verbreiten sie allemal. Das fängt bei den anonymen Anrufen an und hört mit Aufrufen im Internet auf. Denn da wurden nicht nur einzelne Mitglieder der Redaktion beschimpft, sondern auch das Ehepaar Brüns und der Schlachter samt seinen Familienangehörigen. Wir als Redaktion haben versucht, die Attacken an uns abperlen zu lassen. Wenngleich: Bezeichnungen wie „Auftragsmörder“ oder „So sieht der Schreibtischtäter aus“, Vergleiche zu Kinderschändern oder gar zur massenhaften Juden-Ermordung in Auschwitz sind auch an uns nicht spurlos vorübergegangen. Aber: Angegriffen, angezeigt und verklagt zu werden, das müssen Journalisten von Berufs wegen aushalten können. Selbst Familie Brüns hielt durch – trotz der Bedrohungen. Aber als dann auch noch unser Schlachter angegangen wurde, zogen wir die Reißleine.

Nun steht das ehemalige Redaktionsschwein auf einem Hof des Tierschutzbundes in Weidefeld (Schleswig-Holstein). Bei seinem aus Bremen stammenden Präsidenten Wolfgang Apel möchten wir uns an dieser Stelle ausdrücklich dafür bedanken, dass er das ermöglicht hat. Ohne seine Hilfe hätten wir das Tier nicht so schnell vom Hof bekommen, um zu erreichen, dass die Familie Brüns und die Schlachterei Tödter wieder zur Ruhe kommen. Das Motiv des Tierschützers Apel – auch Vorstand von Neuland e. V. zur Förderung einer tiergerechten Nutztierhaltung – war übrigens wie unseres: der Schutz der am Projekt beteiligten Menschen. Denn auch Apel, der die Aufklärungsarbeit unserer Serie ausdrücklich lobt, distanziert sich von der Militanz einiger Tierschützer: „Das, was dort geschehen ist, ist nicht im Sinne des deutschen Tierschutzes. Wir setzen uns für bessere Haltungsbedingungen ein, bauen dabei aber auf den Verbraucher und den Gesetzgeber.“

Bedanken möchten wir uns an dieser Stelle auch bei all den anderen, den Bauern, Viehhändlern, Wissenschaftlern und Branchenvertretern, die uns Rede und Antwort gestanden haben. Ohne ihre Hilfe hätten wir es nicht schaffen können, das Thema Schweinehaltung so transparent zu machen. Ja, wir möchten uns auch bei denjenigen Facebook-Mitgliedern bedanken, die sich mit sachlichen Argumenten in die Debatte einschalteten. Vielleicht verurteilen auch sie, dass wegen der Schlachtung eines Schweins – bei fast 60 Millionen jährlich in Deutschland – zwei Familien mit Psycho-Terror überzogen wurden. Dass diese vermeintlichen Tierschützer so weit gegangen sind, ist und bleibt für mich: eine Schweinerei.

Peter Voith ist per Mail erreichbar: peter.voith@weser-kurier.de

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