Heidekreis, Diepholz, Friesland, Wittmund – einige der Landkreis in Niedersachsen, in denen Frauen im Krankenhaus keine Kinder mehr bekommen können, weil die Entbindungsstationen geschlossen wurden. „Als 2011 im Landkreis Diepholz der letzte Kreißsaal dichtmachte, war das eine Sensation, denn er war der erste deutsche Landkreis ohne klinische Geburtshilfe. Inzwischen fehlt dieses Angebot in jedem vierten Landkreis in Niedersachsen“, sagt Thomas Altgeld, Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen. Sie war am Dienstag Gastgeberin einer Tagung in Hannover über die Lage der Geburtshilfe.
Bundesweit hat sich die Zahl der Geburtskliniken in den letzten 30 Jahren nach Altgelds Angaben von 1186 auf 631 fast halbiert. Obwohl seit rund zehn Jahren wieder mehr Kinder geboren werden, wurden seit 2015 in den niedersächsischen Krankenhäusern von den 84 geburtshilflichen Abteilungen 20 geschlossen. Diese Entwicklung könnte weitergehen, denn die Pläne für ein neues niedersächsisches Krankenhausgesetz sehen weitere Zentralisierungen vor. Die Folge: Frauen müssen längere Wege für die Entbindung in Kauf nehmen, damit steigt die Wahrscheinlichkeit einer Geburt noch vor Erreichen der Klinik.
30 Prozent Kaiserschnitte
Ralf Schild, Chefarzt des Perinatalzentrums Hannover, plädiert dennoch für eine Zentralisierung. „In Krankenhäusern mit wenigen Geburten ist der Anteil der Kaiserschnitte besonders hoch. Je mehr Geburten es an einem Standort gibt, umso mehr Erfahrungen sammelt das Team und kann besser auf Probleme reagieren“, sagt Schild. Seine Forderung: „Qualität vor Wohnortnähe.“ Bundesweit liegt der Anteil der Kaiserschnitte bei fast 30 Prozent. Für einen Kaiserschnitt zahlen Krankenkassen deutlich mehr Geld als für eine natürliche Geburt.

Es fehlt an Hebammen in den Kliniken, weil diese die Arbeitsbedingungen nicht mehr akzeptieren. So ist es inzwischen üblich, dass eine Hebamme mehrere Gebärende betreut.
Laut Schild bleibe vielen Krankenhäusern gar nichts anderes als die Schließung ihrer Geburtsstationen übrig, weil es an Hebammen fehle. „Es gibt genügend Hebammen, aber viele wollen nicht mehr unter den Bedingungen der Kliniken arbeiten“, entgegnet Veronika Bujny, Vorsitzende des niedersächsischen Hebammenverbandes, und fügt hinzu: „Wir haben Verantwortung für zwei Menschenleben. Die können wir aber nicht übernehmen, wenn wir zum Teil vier Frauen im Kreißsaal gleichzeitig betreuen müssen. Von einem Operateur würde niemand verlangen, zwischen den OP-Tischen hin- und herzuspringen!“ Es werde sich nur etwas zum Positiven ändern, wenn natürliche Geburten besser bezahlt werden.
98 Prozent Klinikgeburten
Mehr als 98 Prozent der Geburten finden in Krankenhäusern statt. Je länger eine Geburt dauert, umso mehr Hebammen sind daran beteiligt. Der Wunsch vieler Frauen sei dagegen, von einer Hebamme von der Schwangerschaft über die Geburt bis zur Nachsorge betreut zu werden. „Bei einer Betreuung durch eine vertraute Hebamme sinkt die Zahl der Tod- und Frühgeburten, der Kaiserschnitte und der Geburtseinleitungen“, sagt die freiberufliche Hebamme Anna-Maria Bruhn aus Osnabrück und verweist auf Studien aus Australien, wo die 1:1-Betreuung verbreitet ist. In Deutschland wird dieses Modell nur wenig praktiziert. Bruhn hat selber bei Frauen, die sie schon in der Schwangerschaft betreute, als sogenannte Begleitbeleghebamme Kinder im Krankenhaus Ibbenbühren zur Welt gebracht – bis dort der Kreißsaal geschlossen wurde.
In Niedersachsen kooperiert nach ihren Angaben nur die Medizinische Hochschule Hannover mit Begleithebammen. „Vor 30 Jahren waren Begleithebammen vielerorts üblich, doch die Bezahlung war so schlecht, dass viele Hebammen damit aufgehört haben“, sagt Karin Helke-Krüger, Beraterin der Einrichtung Kaiserschnittstelle. Sie kritisiert, dass die Wahlfreiheit der Frauen, wo sie entbinden wollen, faktisch nicht besteht: „Frauen müssen sich sehr früh um eine Hebamme kümmern, wenn sie zu Hause oder im Geburtshaus entbinden wollen. Das ist den meisten aber nicht klar, so dass viele doch im Krankenhaus ihr Kind bekommen müssen.“
Eine gewisse Alternative sind Kreißsäle, die von Hebammen geführt werden. Sie gibt es unter anderem im Klinikum Osnabrück, in den Helios-Kliniken Hildesheim und im Klinikum Robert Koch in Gehrden. Ärzte werden nur an der Geburt beteiligt, wenn es medizinisch notwendig ist. „Diese Hebammenkreißsäle haben keine Personalprobleme“, sagt Altgeld.
Zu wenig Ausbildungsplätze
Für den Personalmangel sind die Krankenhäuser laut Karin Niessen von der Hochschule Osnabrück mitverantwortlich. Seit 2021 gibt es in Niedersachsen vier Studiengänge Hebammenwissenschaft mit insgesamt 140 Plätzen pro Jahrgang. „Seitdem angehende Hebammen studieren müssen, ist das Interesse an diesem Beruf noch gestiegen. Allerdings braucht man für das Studium einen Ausbildungsplatz in einer Klinik, und solche Plätze fehlen“, sagt die Dozentin.
Das niedersächsische Aktionsbündnis „Gesundheit rund um die Geburt“, zu dem sich 60 Organisationen wie Wohlfahrtsverbände und kirchliche Einrichtungen zusammengeschlossen haben, fordert in einer Petition vom Land, die Geburtshilfe als Teil der Grundversorgung anzuerkennen. Dann müsste diese Leistung für alle Menschen innerhalb von 30 Minuten erreichbar sein. Im neuen Krankenhausgesetz wird die Erreichbarkeit eines Kreißsaals innerhalb von 45 Minuten als zumutbar bezeichnet. Mehr als 17.000 Menschen haben die Online-Petition bislang unterschrieben (www.gesundheit-rund-um-die-geburt.de).