Es war ein Sommernachmittag im Juli 2016, als die Brüder Bagui und Adama Traoré in Beaumont-sur-Oise, 30 Kilometer nördlich von Paris, in eine Kontrolle durch Gendarmen gerieten. Während Bagui ruhig blieb, ergriff der 24-jährige Adama die Flucht. Er konnte entkommen, wurde aber wenig später bei einem Bekannten entdeckt, gefesselt und festgenommen. Videoaufnahmen davon gibt es nicht, aber die Beamten sagten aus, zu dritt hätten sie Traoré in Bauchlage auf den Boden gedrückt. Wie der getötete US-Amerikaner George Floyd soll der junge Franzose gesagt haben, er bekomme keine Luft. Er stand noch aus eigener Kraft auf, um sich in den Polizeiwagen führen zu lassen, fiel auf dem Weg ins Präsidium in Ohnmacht und starb kurz darauf. In Beaumont-sur-Oise und Paris kam es zu Aufständen vor allem der schwarzen Bevölkerung; Traoré war einer von ihnen.
Der Staatsanwalt sprach schnell von Vorerkrankungen, die den plötzlichen Tod verursacht hätten, erwähnte aber ein vom Gerichtsmediziner festgestelltes „Erstickungssyndrom“ nicht. Die Familie gab eine Gegenuntersuchung in Auftrag, in der Spezialisten schlossen, mögliche Vorerkrankungen hätten nicht zu Traorés Tod geführt. Dessen Ursache ist trotz sechs Gutachten und Gegengutachten bis heute nicht geklärt. Und bis heute kämpft die Schwester des Verstorbenen, Assa Traoré, mit dem gleichnamigen Unterstützungskomitee um „Wahrheit und Gerechtigkeit für Adama“.
Anfang Juni organisierte sie eine Demonstration, zu der trotz eines Verbots durch den Polizeipräfekten 20 000 Menschen vor das Gerichtstribunal in Paris kamen. „Wenn man für George Floyd kämpft, kämpft man auch für Adama“, rief Assa Traoré ihnen zu. Wie Floyd in den USA wurde ihr Bruder in Frankreich zur Symbolfigur für rassistisch motivierte Polizeigewalt. Am kommenden Sonnabend soll erneut demonstriert werden.
Zahl der Beschwerden steigt
In den sozialen Netzwerken kursieren ständig neue Videos von brutalen Polizei-Einsätzen oder von rassistischen Bemerkungen von Polizisten. 2019 stieg die Zahl der Beschwerden um 29 Prozent an. Im Januar schockierte der brutale Tod des Rollerfahrers Cédric Chouviat bei einer gewaltsamen Festnahme. Nachdem die Autopsie ergab, dass Chouviat dabei unter anderem einen Kehlkopfbruch erlitt, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung.
Hatten die Regierung und Innenminister Christophe Castaner bislang stets die Sicherheitskräfte verteidigt, so ließ Castaner bei einer Pressekonferenz am Montagnachmittag neue Töne vernehmen – offenbar hatte ihn Präsident Emmanuel Macron dazu aufgefordert. „Eine Polizei- oder Gendarm-Uniform zu tragen ist eine Ehre, der sich jeder würdig erweisen muss“, sagte Castaner. Zu viele hätten in dieser „republikanischen Pflicht“ versagt. Die Würgegriff-Technik werde künftig verboten. Am Dienstag besuchte Premierminister Édouard Philippe ein Polizei-Kommissariat in der Pariser Vorstadt Évry, wo er auf die Wichtigkeit eines Vertrauensverhältnisses zwischen Sicherheitskräften und Einwohnern hinwies. Um deren oft angespanntes Verhältnis geht es auch in dem mehrfach ausgezeichneten Film „Die Wütenden – Les Misérables“. Große Beachtung erhielt er nicht zuletzt durch seine Realitätsnähe.