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Wie tickt die EU? Politik an der Pommes-Bude

Ob die Friterie am Place Jourdan im Europaviertel oder das Hotel Amigo in der Brüsseler Altstadt – einige Lokalitäten in der EU-Hauptstadt sind berühmt, weil dort Staats- und Regierungschefs verkehren.
21.03.2024, 05:00 Uhr
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Von Katrin Pribyl

Eine Tüte Fritten, dazu die würzig-pikante Sauce Andalouse – als Angela Merkel vor acht Jahren vom EU-Gipfel im Brüsseler Ratsgebäude floh, um sich einen Snack um die Ecke zu genehmigen, gingen die Bilder um die Welt. Wie so oft bei Spitzentreffen sollte die Taktik des Aushungerns eigentlich David Cameron, den damaligen Premierminister des Vereinigten Königreichs, zum Einlenken bewegen. Doch der Brite gab sich stur, ein Brexit-Referendum sollte her, der Rest ist Geschichte.

Merkel knurrte an jenem Februarabend 2016 der Magen. Mit ihrer Entourage spazierte die damalige Bundeskanzlerin zum rund zehn Minuten entfernten Place Jourdan. Der ist zwar nicht besonders hübsch, aber in der Mitte steht das Maison Antoine, ein Fritten-Mythos. Gegründet 1948 in Brüssel-Etterbeek brutzelt dort mittlerweile die dritte Generation.

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Dabei scheiden sich die belgischen Geister vor allem an einer Frage: Welche Sauce ist die beste? 32 Versionen stehen bei Maison Antoine zur Auswahl. Merkel bestellte damals dem Verkäufer zufolge mehr als 40 Portionen für ihr gesamtes Team, wahlweise mit Mayonnaise oder Sauce Andalouse, eine Mischung aus Mayonnaise, ­Tomatenpaste und Pfeffer. 3,70 Euro, inklusive Topping. Mittlerweile hat der Fastfood-Kiosk bei den Preisen aufgeschlagen, günstig bleibt es weiterhin.

Die Friterie ist eine Institution im Brüsseler EU-Betrieb. Zu den Kunden zählten die Schauspielerin Catherine Deneuve und Rockstar Mick Jagger. Vor allem aber kommen gerne Politiker vorbei wie EU-Ratspräsident Charles Michel, die belgische Premierministerin Sophie Wilmes, der luxemburgische Ex-Premier Xavier Bettel oder Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank. Es gibt vermutlich keinen Europaabgeordneten, der hier nicht schon mal zwischen Terminen und Abstimmungsrunden einen Happen verspeist hat.

Hungrige müssen allerdings Zeit mitbringen. So legendär wie die Fritten sind die Schlangen, die sich mittags, abends und nachts bilden. Meist wird auf einer der harten Parkbänke gegessen, aber einige der vielen Bars und Cafés erlauben es ihren Gästen per Aushang, noch mit Pommes-Tüte in der Hand ein frisch gezapftes belgisches Bier zu bestellen.

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Dabei ist das Antoine längst nicht der einzige Ort außerhalb der EU-Blase, wo es Politiker hinzieht. Während Abgeordnete gerne ihre Meetings auslagern in eine der Kneipen am Place du Luxembourg, kurz Place Lux, vor dem Europaparlament – besonders beliebt ist die Beer Factory – bevorzugen Staats- und Regierungschefs bei ihren Besuchen eine noblere Adresse mit einem etwas zwielichtig anmutenden Namen: das Hotel Amigo.

Seit Helmut Kohls Kanzlerschaft hat sich die Adresse im Zentrum der belgischen Hauptstadt für Berlin wie auch für Paris als feste Unterkunft während der Spitzentreffen etabliert. Schon Gerhard Schröder und Jacques Chirac luden dort Journalisten zu Hintergrundgesprächen ein oder liefen sich im schicken Restaurant über den Weg. Auch italienische Regierungsdelegationen gehören inzwischen zu den Stammgästen.

Dass Kanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni dank der räumlichen Nähe immer häufiger am Vorabend von EU-Gipfeln in der Hotelbar bei einem Glas Rotwein zusammensitzen und offenstehende Fragen im kleinsten Kreis ausloten, sorgt zunehmend für Irritationen bei einigen Partnern, die sich von den Vertretern der drei größten Mitgliedstaaten außen vor gelassen fühlen. Das Trio scheint es zu mögen: Politik bei gedimmtem Licht und im Polo-Shirt abseits der sterilen Konferenzräume. Beitritt der Ukraine, Migration, EU-Haushalt, Ungarns Blockadeversuche – hätten die Wände des Luxushotels nur Ohren und könnten von den vielen Geschichten und Geheimnissen, Anekdoten und Auseinandersetzungen erzählen...

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Einst stand hier, direkt neben dem Rathaus und dem prächtigen Grand-Place ein Gefängnis, 1522 wurde es gebaut. Nachdem es einmal zerstört und wiederaufgebaut wurde, saß Mitte des 19. Jahrhunderts der deutsche Philosoph Karl Marx einmal eine Nacht als Häftling 1848 in der Zelle. Heute ziert das Hotel fünf Sterne, die Wände der Art-Deco-Bar sind geschmückt mit Tapeten, die an die kubistische Periode des belgischen Malers Magritte erinnern. Die Nacht kostet ab rund 350 Euro, dann geht es aufwärts bis zur 180 Quadratmeter großen – und teuersten – Suite im Haus mit Kamin, Dachterrasse und herrlichem Blick. Die, so erzählt man sich, trug im Übrigen lange den Spitznamen Merkel-Suite.

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