Es war nicht genug, dass Patrice Lumumba bereits in der sandigen Erde verscharrt war. Aus Angst, der erschossene Freiheitskämpfer könnte entdeckt werden, kehrten Polizisten und Söldner des belgisch-kongolesischen Todeskommandos zurück zu der Lichtung, wo sie seine und zwei weitere Leichen am 17. Januar 1961 vergraben hatten. Die Männer hatten sich zuvor Mut angetrunken, wie ein Beteiligter später erzählen sollte, um den schaurigen Befehl auszuführen: Von dem ersten demokratisch gewählten Premierminister der heutigen Demokratischen Republik Kongo und zwei seiner politischen Weggefährten sollte nichts übrig bleiben. Dann vierteilten die Polizisten mit einer Säge den von Folter gebrandmarkten Körper von Lumumba, zertrümmerten den Schädel und lösten die Leiche in Schwefelsäure auf.
Doch der belgische Gendarm Gérard Soete nahm als eine Art Jagdtrophäe unter anderem zwei Zähne mit. Vier Jahrzehnte später gab er in einer TV-Dokumentation seine Beteiligung an der Ermordung zu und präsentierte jenen Zahn mit der goldenen Krone, der mittlerweile das einzige Relikt von Lumumba darstellt. Erst Jahre später wurde er von Beamten im Haus von Soetes Tochter beschlagnahmt. Seitdem befand er sich in einem Tresor der Staatsanwaltschaft in Brüssel.
Am Montag und damit mehr als sechs Jahrzehnte nach Lumumbas Tod übergab der belgische Premierminister Alexander De Croo seine Überreste bei einer offiziellen Zeremonie in Brüssel an dessen Nachkommen. Der Zahn soll endlich im Land seiner Herkunft beerdigt werden. Der Freiheitskämpfer wird bis heute von Millionen junger Afrikaner als Idol verehrt. Der Goldzahn ist für sie auch ein Symbol.
Es war Patrice Lumumba, der Demokrat, der nach seiner Wahl im Juni 1960 die Verbrechen, Gräueltaten und Erniedrigungen während der Herrschaft der Belgier anprangerte – und den Kongolesen versprach, die gewaltigen Vorkommen von Rohstoffen wie Gold, Elfenbein, Diamanten, Kautschuk und Uran zu verstaatlichen. Die Welt befand sich auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs, dementsprechend löste Lumumbas Aufstieg im Westen die Befürchtung aus, er könnte sich der Sowjetunion zuwenden. Nur drei Monate nach seiner Wahl wurde er vom korrupten Armeeoberst Joseph Mobutu aus dem Amt geputscht, verhaftet – und getötet. Mobutu und seine Anhänger konnten bei dem Staatsstreich auf die Unterstützung des US-amerikanischen Geheimdiensts CIA sowie der belgischen Offiziere und Polizisten zählen. Sie arbeiteten eng zusammen, um Lumumba „auszuschalten“ und „von der Bühne zu entfernen“, wie man aus Dokumenten weiß.
Langes Tauziehen um Übergabe
Zwar versucht Belgiens Regierung, sich mit der Übergabe nach jahrelangem Tauziehen einem der dunkelsten Kapitel seiner Kolonialgeschichte zu stellen – und die Beziehungen zu der einstigen Kolonie zu verbessern. Aber das Land tut sich schwer mit der Aufarbeitung. Nach der Bekanntgabe Soetes setzte das Parlament 2001 einen Untersuchungsausschuss ein, der den Staat zumindest „moralisch verantwortlich“ machte. Versöhnt sind die ehemalige Kolonialmacht und das über Jahrzehnte ausgeplünderte Land, das 1960 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, keineswegs.
Laut Kommission wurde „kein einziges Dokument“ gefunden, das beweist, dass die Regierung in Brüssel den Befehl zur Ermordung Lumumbas gab. Aber sie kam zu dem Schluss, dass belgische Beamte eine Entführung und möglicherweise Tötung Lumumbas geplant hatten und dass die Regierung nichts unternahm, um seine Ermordung zu verhindern, als er den Putschisten übergeben wurde. Der belgische Journalist Ludo De Witte, der die nationale Aufarbeitung 1999 mit seinem Buch „Regierungsauftrag Mord“ eingeleitet hatte, befand dagegen, die Rolle Belgiens sollte klar zum Ausdruck gebracht werden, und zwar „auf allen Ebenen“: politisch, ideologisch und finanziell.
Für viele Kongolesen reichen die jüngsten Versöhnungsversuche Belgiens nicht aus, um die koloniale Vergangenheit des Landes zu sühnen. Die Besetzung des Kongo, zunächst durch König Leopold II. ab 1885 und dann durch den belgischen Staat, gilt als eine der brutalsten in der afrikanischen Geschichte. Sie war geprägt von Zwangsarbeit, systematischer Verstümmelung und dem Tod von Millionen Menschen. 2021 immerhin drückte König Philippe sein „tiefes Bedauern“ über die „Gewalttaten und Grausamkeiten“ aus, die unter belgischer Herrschaft im Kongo begangen wurden. Nun wollen zumindest Lumumbas Nachfahren mit der Überführung des Zahns endlich einen Abschluss finden.