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EU-Gipfel Migration bleibt eine Schicksalsfrage der EU

Trotz sinkender Zahlen wird der Ruf nach Asylrechtsverschärfungen lauter. Die Gemeinschaft steht vor einer Zerreißprobe, meint Katrin Pribyl.
18.10.2024, 05:00 Uhr
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Migration bleibt eine Schicksalsfrage der EU
Von Katrin Pribyl

Sie sind in der EU, so viel Anerkennung muss an dieser Stelle gestattet sein, Meister im Erfinden euphemistischer Phrasen. Ein schönes Beispiel ist der Begriff „innovative Lösungen“, der beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel in aller Munde war. Dahinter steckt die moralisch verwerfliche Idee, Asylanträge außerhalb der EU bearbeiten zu lassen.

Tatsächlich überbietet sich die europäische Politik derzeit in Forderungen, die Rechte von Geflüchteten zu beschneiden oder gar auszusetzen. Herrscht wirklich der Notstand? Wer die aufgeladene Debatte um die Begrenzung von Zuwanderung und Ausweisung von abgelehnten Asylbewerbern verfolgt, kann kaum glauben, dass die irreguläre Migration in die EU in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 42 Prozent zurückgegangen ist, wie die EU-Grenzschutzagentur Frontex am Dienstag bekannt gab.

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Es war die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die Herausforderung Migration einst zur Schicksalsfrage der EU erklärte. Trotzdem trug sie nicht viel dazu bei, Lösungen zu finden. Fast ein Jahrzehnt voller Streit und Drama musste vergehen, bis sich die Gemeinschaft im Frühjahr auf eine Reform ihres gescheiterten Asylrechts einigte, die das Ziel verfolgt, wieder für Ordnung zu sorgen. Es handelte sich um eine Zäsur in der europäischen Migrationspolitik. So verschärfte die Gemeinschaft die Regeln massiv und folgte dem Kurs der Hardliner, die Abschreckung und Abschottung zum neuen Zweiklang ausriefen.

Debatte nicht entschärft

Nur hat sich die Hoffnung, dass der Pakt die Debatte entschärfen würde, leider zerschlagen. In zahlreichen Mitgliedstaaten triumphieren die extremen Rechten – und die demokratischen Parteien der Mitte hetzen nun mit aufwallendem Übereifer den Populisten hinterher. Im Vergleich zu heute klingt der Pakt von vor sechs Monaten wie weichgespülte Wohlfühlpolitik.

Aktuell ist es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, bei den Entscheidern auch nur den Hauch von Empathie zu vernehmen. Längst geht es nicht mehr nur um die Errichtung einer Festung Europas mithilfe von Zäunen und Mauern. Immer mehr Regierungen pochen darauf, Asylverfahren in sichere Drittstaaten auszulagern. Die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni wird für ihren Deal mit Albanien gepriesen.

Einige für das "Ruanda-Modell"

Einige plädieren sogar für das „Ruanda-Modell“, also die Auslagerung nach ­Afrika, obwohl die Idee unrealistische Erwartungen in der Bevölkerung schürt, die niemals erfüllt werden können. Welches Land würde sich für die EU die Hände schmutzig machen wollen, weil die Europäer ihre Probleme nicht zu lösen vermögen? Abgesehen von juristischen und rechtsstaatlichen Bedenken wäre ein solcher Schritt teuer. Die Kosten, um Migranten in Europa unterzubringen und in die Gesellschaft zu integrieren, scheinen im Vergleich fast lächerlich.

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Zerfällt die Gemeinschaft über den Umgang mit dem Reizthema oder hält der Klub der 27 zusammen? Es rächt sich, dass die EU-Spitzen das wie ein Damoklesschwert über der Union schwebende Thema so lange vor sich hergeschoben haben. Wer dem lauten Getöse dieser Tage etwas Gutes abgewinnen will, kann immerhin behaupten, dass die Aufgabe nun mit der nötigen Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit behandelt wird. Es gibt ein Momentum, nur ist noch offen, ob es sinnvoll genutzt wird.

Es braucht mehr Konsequenz bei der Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern, mehr Solidarität unter den Mitgliedstaaten und eine gerechte Verteilung innerhalb der Union. Gleichzeitig muss die Gemeinschaft sicherstellen, dass den vor Gewalt und Verfolgung Geflüchteten der Schutz gewährt wird, den sie verdienen. Noch sorgen die Staats- und Regierungschefs mit ihren nationalen Alleingängen für jenes Chaos, von dem die Bürger verständlicherweise nach Jahren des Versagens genug haben. Lediglich nach einer „europäischen Antwort“ zu rufen, reicht nicht. Die Spitzenlenker müssen auch im Sinne der Gemeinschaft handeln.

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