Sie waren einmal so etwas wie die Zukunft der EU: Frans Timmermans und Margrethe Vestager galten noch vor wenigen Jahren als die Polit-Superstars in Brüssel. Doch ihr Stern erlischt zumindest auf Kommissionsebene. Gerade erst verließ der Niederländer Timmermans die Behörde, weil er Ministerpräsident in seiner Heimat werden will. Damit verabschiedete sich ausgerechnet der Klimakommissar, der verantwortlich für den Grünen Deal war.
Die Dänin Vestager wiederum, zuständig für die wichtigen Bereiche Digitalisierung und Wettbewerb, möchte Präsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB) werden. Die Entscheidung darüber fällt Mitte September bei einem Treffen der Finanzminister. Mit dem 62 Jahre alten Sozialdemokraten und der 55-jährigen Liberalen zieht es zwei der geschäftsführenden Vizepräsidenten weg. Die Bulgarin Mariya Gabriel trat derweil bereits im Mai als Kommissarin für die Bereiche Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend zurück, um einen Posten in der Heimat zu übernehmen. An diesem Dienstag stellt sich die Nachfolgerin Iliana Ivanova dem EU-Parlament.
Kritik am Führungsstil
Zehn Monate, bevor die Bürger der 27 Mitgliedstaaten aufgerufen sind, ein neues EU-Abgeordnetenhaus zu wählen, entsteht zunehmend der Eindruck, dass der Chefin der Brüsseler Behörde Ursula von der Leyen die Leute davonlaufen. Im Anschluss an die Abstimmung im Juni 2024 wird eine neue Exekutive ernannt – die EU-Kommission – und möglicherweise auch eine neue Spitze.
Ob von der Leyen abermals für das Amt kandidieren wird, hat sie noch nicht verraten. Aber offenbar wollen einige ihrer Kommissare die endgültige Entscheidung nicht abwarten. Kritiker schieben das auch auf den Führungsstil der Deutschen. Sie mag die mächtigste Frau Europas sein, die die Union durch die Corona-Pandemie geführt, die brüchigen Beziehungen zu den USA wiederhergestellt und das Profil der EU geschärft hat sowie mit weitreichenden Beschlüssen die Ukraine im Krieg gegen Russland unterstützt. Doch warum schafft es Ursula von der Leyen nicht, ihr eigenes Team zusammenzuhalten?
Sie wird intern als „gute Krisenmanagerin“ beschrieben, aber eben auch als „Kontrollfreak“. So mangele es ihr an „Teamdenken“, monierten zwei Insider hinter vorgehaltener Hand. Zahlreiche Entscheidungen habe sie nüchtern hinter verschlossenen Türen im kleinen Kreis aus Beratern getroffen, anstatt ihre Kommissare miteinzubeziehen. Die fühlten sich oft ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass von der Leyen das Scheinwerferlicht gerne auf sich richtete und es ausknipste, sobald die Kollegen an der Reihe waren.
Nun dürfte der Weggang von Timmermans bei Europas Naturschützern zwar Bedauern auslösen, da er sich lautstark für ambitionierte Klimaziele eingesetzt hatte. Für von der Leyen könnte der Wechsel jedoch eine Chance darstellen. Der Sozialdemokrat verkörperte insbesondere für die Christdemokraten im Europaparlament sowie für die Landwirtschaft das Feindbild in Sachen Klimaschutzgesetze. Seine Gegner beklagen seit Monaten, dass Protestbewegungen in den ländlichen Gebieten florieren, weil die EU beim Naturschutz angeblich den Bauern zu viel aufbürde.
Mit Interesse verfolgten Beobachter in Brüssel, dass die Konservativen ihre Wut auf Timmermans konzentrierten und nicht auf die CDU-Politikerin von der Leyen, die seit Monaten zur Rebellion der Europäischen Volkspartei (EVP) schweigt. Kämpfte sie nicht für eines ihrer bedeutendsten Gesetzespakete, weil sie den Ärger ihrer eigenen Fraktion fürchtete? Experten betonen, dass sie die Unterstützung der EVP braucht, sollte sie abermals für den Posten an der Kommissionsspitze kandidieren. Da kam – und ging – Timmermans gerade recht. Sein Interims-Nachfolger Maros Sefcovic dürfte sich in den nächsten Wochen vor allem als Schlichter zwischen den zerstrittenen Lagern inszenieren und Konsens zu stiften versuchen, nachdem Timmermans in der Wirtschaft wie in der EVP verbrannte Erde hinterlassen hat.
Ob Vestager derweil wirklich den deutschen Werner Hoyer als Vorsitzender der EIB beerben wird, ist noch offen. Dass sie über die Wahl nächstes Jahr hinaus in Brüssel bleibt, gilt jedoch als ausgeschlossen. Denn auch inhaltlich dürfte sich die Wirtschaftsliberale mit der Von-der-Leyen-Kommission schwertun.
Die Dänin vertritt den Ansatz des freien Wettbewerbs, der mittlerweile überholt scheint, vor allem dank französischer Einflussnahme, wie Kritiker betonen. Ob die gemeinsame Kreditaufnahme während der Pandemie oder EU-gestützte Finanzmaßnahmen zur Bewältigung der Energiekrise: Die Schritte passen nicht zu Vestagers Überzeugungen, dafür umso mehr zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – und damit zu Ursula von der Leyen.