Am Montag im Strafgericht von Paris könnte sich die politische Zukunft von Marine Le Pen entscheiden. Dann fällt das Urteil im Prozess wegen mutmaßlicher Veruntreuung von EU-Geldern. Angeklagt sind neben ihrer rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN) mehr als 20 aktuelle oder ehemalige Abgeordnete, Mitarbeiter und Führungsfiguren, darunter Le Pen selbst.
Im Zentrum der Anklage steht ein System, bei dem über Jahre hinweg Mitarbeiter als vermeintliche Assistenten von EU-Parlamentariern bezahlt wurden, mutmaßlich um die Kasse der hoch verschuldeten Partei zu entlasten. Eingerichtet haben soll es der ehemalige Chef und Mitbegründer des Front National (FN), Jean-Marie Le Pen, der im Januar verstorben ist. Seine Tochter Marine Le Pen, die die Partei 2011 von ihm übernahm, sie 2018 in RN umbenannte und derzeit Fraktionsvorsitzende in der Nationalversammlung ist, führte es demnach weiter.
Aussagen von Zeugen und schriftliche Dokumente verstärkten diesen Verdacht. So wurden Le Pens Leibwächter oder auch ihre Büroleiterin in Paris, die in zehn Monaten gerade einmal zwölf Stunden im EU-Parlament verbracht hatte, als Mitarbeiter von EU-Abgeordneten bezahlt. Die Hauptangeklagte argumentierte, die Arbeit für europäische Abgeordnete oder die Partei ließe sich nicht genau trennen – die Regeln des EU-Parlaments lauten allerdings anders. Dieses schätzte den entstandenen Schaden auf 4,5 Millionen Euro, von denen 3,4 Millionen noch nicht zurückgezahlt wurden.
Bei ihrem Plädoyer im November ging die Staatsanwaltschaft weiter als erwartet. Sie forderte für Le Pen neben einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren, davon drei auf Bewährung, und einer Geldbuße in Höhe von 300.000 Euro auch, dass sie fünf Jahre lang nicht bei Wahlen antreten darf, also „Nichtwählbarkeit“ – und zwar ab sofort, ohne aufschiebende Wirkung, selbst wenn sie in Berufung ginge. Das würde sie von den nächsten Präsidentschaftswahlen 2027 ausschließen.
Die 56-Jährige, selbst ausgebildete Juristin, wirkte schockiert, schlug aber einen gewohnt offensiven Ton an. „Die Staatsanwaltschaft will den Franzosen die Möglichkeit nehmen, die Person zu wählen, die sie wollen“, sagte sie. Es handle sich um einen „schwerwiegenden Angriff auf die Demokratie“. Allerdings sieht ein Gesetz von 2016 automatisch den Verlust des passiven Wahlrechts bei einer Verurteilung wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder vor. Dennoch wäre ein Ausschluss der Frau, die bei den beiden letzten Präsidentschaftswahlen die Stichrunde erreichte, als heikel.
Derweil erwächst der Frontfrau der französischen Rechtsextremen mit dem 29-jährigen Parteichef Jordan Bardella, ihrem politischen Ziehsohn, eine parteiinterne Konkurrenz. Er ist in Umfragen fast so beliebt wie sie und wurde gerade – anders als Le Pen – zu einer Konferenz nach Israel eingeladen. Bardella repräsentiert eine neue Generation, die mit dem belastenden Erbe der Partei, die von früheren SS-Mitgliedern gegründet wurde und lange ein Sammelbecken für Rechtsradikale und Antisemiten war, wenig zu tun hat. Er sagte in einem Interview, bei Wahlen antreten könne nur, wer ein leeres Strafregister habe. Auf die Frage, ob das auch für Le Pen gelte, erwiderte er, dass sie ja unschuldig sei. Ob das Gericht das genauso sieht, wird am Montag bekannt.
In dieser Woche hat auch das Plädoyer des Staatsanwalts im laufenden Prozess gegen den französischen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy für Aufsehen gesorgt. Beim Verdacht, im Wahlkampf 2007 Millionen vom ehemaligen libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi angenommen zu haben, handle es sich um einen „unerhörten Korruptionspakt“ mit einem „mit Blut besudelten Regime“, was die Interessen Frankreichs beschädigt habe.
Die Anklage forderte sieben Jahre Haft und 300.000 Euro Strafe, der 70-jährige Angeklagte nannte dies „exzessiv und ohne jede Grundlage“. Es handelt sich um Sarkozys fünftes Gerichtsverfahren innerhalb von fünf Jahren. Nach der Verurteilung wegen der Bestechung eines Juristen hat er ein Jahr lang Hausarrest und trägt eine elektronische Fußfessel. Wie Le Pen stellt er sich als Opfer einer „politischen Justiz“ dar.