Donald Trump befand sich noch in der Luft auf dem Weg zum Nato-Gipfel in Den Haag, da sorgte er bereits für jenen Paukenschlag, vor dem sich die Verbündeten gefürchtet hatten. Der US-Präsident stellte die Beistandsgarantie infrage – ausgerechnet jener Musketier-Grundsatz, nach dem „ein Angriff auf einen ein Angriff auf alle ist“, wie die Partner im Entwurf des Abschlussdokuments bekräftigen wollten. Als Trump aber während des Flugs am Dienstag gefragt wurde, ob er sich zu der Klausel verpflichtet fühle, antwortete er: „Das hängt von ihrer Definition ab.“ Es gebe „zahlreiche Definitionen von Artikel 5“. Eine genaue Definition werde er vor Ort liefern.
Für die Bündnispartner war der Schaden angerichtet, bevor der Gipfel offiziell begann. Nicht nur wollte die Nato mit diesem fundamentalen Satz im Abschlussdokument „ein Signal an Wladimir Putin“ senden, wie es ein Diplomat nannte, nachdem Trump seit seiner Wiederwahl immer mal wieder Zweifel gestreut hatte. Das „unumstößliche Bekenntnis zur kollektiven Verteidigung“ in dem Dokument festzuschreiben, gehörte auch zu den Voraussetzungen dafür, dass die Europäer ihrerseits die Forderung der Amerikaner erfüllen: Die Partner wollen sich verpflichten, spätestens von 2035 an fünf Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu investieren. Bislang lag die Zielmarke bei zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es ist eine „dramatische Erhöhung“, wird aber mittlerweile akzeptiert als Preis, den die Europäer zu bezahlen haben, um Washington bei Stange zu halten.
Nun dürfte die Diskussion um das Engagement der Vereinigten Staaten in der nordatlantischen Allianz abermals entfachen. Es ist genau das Gegenteil von dem, was die Nato im Sinn hatte. Ohnehin sollte es am Dienstag eigentlich um die Ukraine gehen – und Wolodymyr Selenskyj. Als der am Dienstagnachmittag im Den Haager Konferenzzentrum vor die Presse trat, wirkte er ernst, fast zurückhaltend. Keine Späße mit den Journalisten, keine langen Ausführungen. Stattdessen waren ihm die Enttäuschungen der vergangenen Wochen ins müde Gesicht geschrieben. Die US-Regierung, sie verpasst ihm seit Monaten einen Schlag nach dem anderen. Während der ukrainische Präsident bei vorigen Spitzentreffen als Ehrengast gefeiert wurde, wirkte er jetzt eher wie ein Zaungast. Er war etwa nicht zur offiziellen Arbeitssitzung der Staats- und Regierungschefs am Mittwoch eingeladen, sondern nahm lediglich beim Bankett im Königspalast am Dienstagabend teil.
Um einen Konflikt mit Trump zu verhindern, hatte die Nato das Thema Ukraine auf den Dienstag ausgelagert – ein Randaspekt, wenn man so will. Am Nachmittag standen also Generalsekretär Mark Rutte, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Antonio Costa neben Selenskyj vor der Wand im Nato-Blau. Die drei Politiker hatten ihn betont herzlich begrüßt. Der ukrainische Präsident befinde sich „unter Freunden“, versicherte Rutte und versprach ihm die „unumkehrbare“ Unterstützung der Allianz. Der Niederländer lächelte und auch Selenskyj rang sich ein Lächeln ab, dankte seinem „Freund“.
Gipfel auf Trump ausgerichtet
Doch der freundliche Empfang konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Selenskyj das Nachsehen hatte bei diesem Gipfel, der auf Trump ausgerichtet war. Und der US-Präsident hatte auf ein mehr oder minder Ukraine-freies Treffen gepocht. Washington will Friedensgespräche mit Moskau nicht beschränken. Und die Nato wollte den US-Präsidenten weder verstimmen noch provozieren. Deshalb kürzte die Allianz den Gipfel auch auf eine einzige Arbeitssitzung von zweieinhalb Stunden herunter. „Sweet and short“, so hatte Trump es verlangt. Und die Allianz lieferte. Über allem stand das Ziel, dass die Verbündeten ein Bild der Geschlossenheit in die Welt aussenden können.
Während in der Abschlusserklärung vom vergangenen Jahr die Zukunft der Ukraine in der Nato betrachtet wurde, ist davon im aktuellen Dokument keine Rede mehr. Die Amerikaner hätten die Ukraine am liebsten überhaupt nicht erwähnt, hieß es hinter den Kulissen, doch insbesondere auf Druck der Deutschen und Franzosen findet sich immerhin ein – wenn auch vager – Satz zur Solidarität der Allianz mit dem kriegsgebeutelten Land.