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Kanzlerschaft Hohe Erwartungen in Brüssel an Friedrich Merz

Was wird sich in Europa unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz ändern? Die Erwartungen in der EU sind hoch, etwa in Sachen gemeinsame Schulden.
05.05.2025, 19:43 Uhr
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Hohe Erwartungen in Brüssel an Friedrich Merz
Von Katrin Pribyl

Es wirkte fast schon wie ein Mini-EU-Gipfel, bei dem sich Friedrich Merz vergangene Woche präsentierte. Warmlaufen für Brüssel, wenn man so will. Denn im Publikum der Messehalle im spanischen Valencia saßen 13 EU-Staats- und Regierungschefs, so viele gehören mittlerweile der Europäischen Volkspartei (EVP) an, die zum Kongress geladen hatte. Es wäre keine Untertreibung zu behaupten, dass Merz im Kreis der Parteienfamilie, Heimat auch der CDU und CSU, als eine Art Stargast gefeiert wurde. Merz als Bundeskanzler des größten Mitgliedstaats soll Europas Christdemokraten weiter stärken, ihr zu noch mehr Einfluss im konservativen Sinne verhelfen, etwa bei Themen wie Wettbewerbsfähigkeit oder Migration.

Die Erwartungen sind riesig. Der 69-Jährige ist sich dessen bewusst, und so lieferte er bei seinem Auftritt, was seine europäischen Kollegen von ihm hören wollten. Sie würden „die größten Unterstützer der EU bekommen, die ihr jemals erlebt habt“, versprach er ihnen, zudem „mehr deutsche Führung“. Es ist das, was in Brüssel dieser Tage am lautesten von Berlin gefordert wird, nachdem Olaf Scholz oft und gerne vorgeworfen wurde, keine Führungsrolle auf EU-Ebene übernommen und Europathemen nachrangig behandelt zu haben. Hinzu kommt die Erinnerung an das „German Vote“. So bezeichnen Diplomaten das Phänomen der Unentschlossenheit in der Runde der 27 EU-Länder. Deutschland verhandelte oft lange über neue EU-Gesetze, nur um sich dann am Ende bei der Abstimmung zu enthalten, weil SPD, FDP und Grüne zu Hause keine gemeinsame Position fanden und Scholz kein Machtwort sprach. Der Frust der EU-Partner über die Streitigkeiten in der Ampelkoalition war dementsprechend groß. Die neue Bundesregierung müsse „diese massive Schwächung deutscher Interessen in der EU“ umkehren und „zusammen mit Frankreich und Polen wieder Führung im Rat übernehmen“, verlangte René Repasi, Chef der deutschen SPD-Gruppe im Europaparlament.

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Merz setzte bereits ein Zeichen, indem er Brüssel als Ziel seiner ersten Auslandsreise als CDU-Chef gewählt hatte und damit an den Ort ging, wo seine Karriere vor mehr als drei Jahrzehnten als Abgeordneter im Europaparlament begonnen hatte. Nachdem er aber im Wahlkampf mit Plänen für eine restriktive Migrationspolitik vorgeprescht war, mit denen sich Deutschland über europäisches Recht hinwegsetzen würde, fragten sich viele hinter vorgehaltener Hand, ob ein Kanzler Merz wirklich als jener Europapolitiker agieren wird, als der er sich gerne präsentiert.

Es sei „wichtig, dass er mit einem kooperativen Ansatz auftritt”, sagte der EVP-Partei- und Fraktionschef Manfred Weber gegenüber dieser Zeitung. Seiner Ansicht nach sei Merz‘ „erste Riesenaufgabe“, einen Weg zu finden, das transatlantische Verhältnis zu US-Präsident Donald Trump zu verbessern. Hinzu kommt die Frage, wie sich der Bundeskanzler beim traditionell größten Streitpunkt der Gemeinschaft positionieren wird: Geld. Die Kommission wünscht sich gemeinsame Schulden und will – wie zuletzt in der Corona-Pandemie – einen europäischen Topf zur Finanzierung von Verteidigung schaffen. Frankreich, Spanien und Italien, also Länder mit hohen Schulden, sind dafür.

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Doch der sogenannte Club der Sparsamen, angeführt von Deutschland, hält von gemeinsamen Schulden wenig bis nichts. Bis jetzt. Innerhalb der EVP wird nämlich längst debattiert. Die deutsche Stimme sei wichtig, sagte Weber, „aber sie muss sich trotzdem auch einbetten“. Der Druck auf Merz dürfte zunehmen. Würde er aber wirklich nach der Lockerung der Schuldenbremse auch auf EU-Ebene den Kurswechsel wagen? „Bei Finanzierungsfragen hinsichtlich der kommenden Verteidigungsausgaben gibt es keine No-Go’s“, sagte Weber, also keine Tabus, „aber auch noch keine Entscheidungen“. Vielmehr nehme er bei Merz „viel Nachdenklichkeit wahr”.

Tatsächlich wurde die jüngste Politikwende der Bundesrepublik in EU-Kreisen als „Befreiung“ erlebt, wie ein Brüsseler Diplomat es nannte, nachdem sich die Koalitionspartner in Berlin mit der Zustimmung der Grünen auf ein milliardenschweres Sondervermögen und eine Reform der Schuldenbremse geeinigt hatten. Die Finanzkraft und Kreditwürdigkeit der Deutschen, aber vor allem das beispiellose Investitionsprogramm und „die völlige Umkehr der deutschen Finanz- und Verteidigungspolitik der vergangenen Jahre“ ermöglichten erst die jüngst angekündigte Rüstungsoffensive in Europa. Man könnte es auch so beschreiben: Die Deutschen unterlegen die Sonntagsreden aus Paris oder Warschau mit Geld und schlüpfen damit wieder in die Führungsrolle, die von ihnen erwartet wird – nicht mit jenem diplomatischen Feingefühl, für das Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuletzt gepriesen wurde, sondern „typisch deutsch“, wie es ein EU-Beamter nannte: mit Milliarden.

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