Es glimmert und glitzert in Bagdad wie selten zuvor. Überall stehen Weihnachtbäume mit bunten Kugeln und blinkenden Lichtern. In fast jedem Geschäft, jeder Hotellobby, sogar an den Straßenkreuzungen: es weihnachtet sehr. Das Fest der Geburt Jesu ist im Irak in Mode gekommen. Dabei wissen die wenigsten, was das eigentlich bedeutet, was sie da feiern und woher es kommt. Mit dem Christentum verbinden die wenigsten Weihnachten, viele verwechseln es auch mit Neujahr und feiern an Silvester. Hinzu kommt, dass ohnehin Weihnachten im Nahen Osten entweder Ende Dezember oder Anfang Januar gefeiert wird, je nachdem, welchem Kalender man folgt. So wünschen viele Nicht-Christen „Frohe Weihnachten“ am 31. Dezember, wenn das westliche Geschäftsjahr zu Ende geht, und beschenken ihre Lieben, vor allem die Kinder. Dabei sein ist alles, mitzumachen bei einem Kult, der durch die sozialen Medien verbreitet und angeheizt wird.
Es sind aber auch die Rückkehrer aus Europa, die den Brauch mitbringen und ihn in ihrer alten Heimat bewahren wollen. Eine Begegnung vor einem Szenerestaurant im Bagdader Stadtteil Yarmouk zeigt dies deutlich. Dort steht eine ganze Gruppe Irakerinnen und Iraker, die erst kürzlich aus Deutschland zurückkamen. „Natürlich feiern wir Weihnachten“, sagen sie im Einklang. Das Restaurant hier sei besonders schön geschmückt. Der Weihnachtsbaum, wenn auch aus Plastik, sei sehr im Stil, wie sie ihn aus Köln, Hamburg oder Bremen kennen. Nicht zu bunt, eher schlicht. Es gäbe Geschenke und gutes Essen, Familie, Freunde, alle seien beisammen. Dass Weihnachten in Europa ein Familienfest ist, finden die Rückkehrer gut, auch wenn dort im Rest des Jahres die Familie nicht so hoch im Kurs stünde wie in den orientalischen Ländern. Dass Weihnachten ein christlicher Brauch ist, stört die Muslime nicht. Und sie sind sich auch kaum bewusst, dass es immer weniger Christen in den Ländern der Region gibt.
Nur noch zwei Prozent der Bevölkerung im Nahen und Mittleren Osten sind Christen
Ob in Syrien, im Libanon oder im Irak – immer mehr Christen verlassen die Ursprungsregion ihrer Religion. Während vor 50 Jahren weit über zehn Prozent Christen im Nahen und Mittleren Osten lebten, zurzeit des Ersten Weltkrieges sogar noch etwa 20 Prozent, sind es heute nurmehr zwei Prozent. Lebten im Jahr 2003, als Amerikaner und Briten in den Irak einmarschierten und Saddam Hussein stürzten, noch 1,5 Millionen Christen im Zweistromland, sind es mittlerweile weniger als 300.000. Zwar sind einige von ihnen inzwischen zurückgekehrt, doch geht die Zahl nach Kenntnissen der Gesellschaft für bedrohte Völker kontinuierlich weiter zurück. Früher waren es die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die die Christen ins Kreuzfeuer geraten ließen. Heute ist es der Konflikt zwischen Israel und dem Iran, der die Christen zerreibt. Da sie traditionell dem Westen verbunden sind, werden sie in die Sympathisanten-Ecke der USA und somit Israels gestellt. Ein übergroßes Plakat in Bagdad zeigt Israels Premier Netanjahu und US-Präsident Biden mit blutbefleckten weißen Hemden und macht sie verantwortlich für die vielen toten Palästinenser im Gazastreifen.
Der Besuch von Papst Franziskus im März 2021 als erstem Papst im Irak brachte indes viel Sympathie für die Christen im Land ein, besonders nachhaltig war er jedoch nicht. Zwar hängen noch immer Poster von dem Treffen mit dem schiitischen Ajatollah Sistani und dem Schwur für gegenseitigen Respekt und Verständnis in den Straßen von Bagdad, aber das Diktat der muslimischen Mehrheit über die Minderheiten im Land ist allgegenwärtig. So wurde vor einem Jahr ein landesweites Alkoholverbot mit der schiitischen Mehrheit im Parlament beschlossen, das vielen Nicht-Muslimen die Lebensgrundlage nimmt. Denn nur Christen und Jesiden dürfen im Irak Alkohol produzieren und verkaufen. Viele von ihnen sind jetzt davon betroffen, wenn ihre Läden schließen müssen und eine strikte Polizeipräsenz darüber wacht, dass sie auch geschlossen bleiben. Ob die Klage gegen das Gesetz vor dem Obersten Gerichtshof durchkommt, in der sie auf Religionsfreiheit plädieren, die in der Verfassung vorgeschrieben ist, bleibt abzuwarten. Bis zum Richterspruch haben wohl weitere Christen den Irak verlassen.