Der Umzug war in vollem Gange. Die Möbelpacker in Palermo hievten Sofas, Stühle, Schränke und eine mit gelber Folie umspannte Matratze in den Möbelwagen. Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella, im Juli 1941 auf Sizilien geboren, hatte schon vor Tagen seine Privatwohnung in der sizilianischen Hauptstadt räumen lassen. Nach abgelaufenem Mandat wollte der 80-Jährige das Pensionsalter in der neuen Wohnung in Rom verbringen, wo die gelbe Matratze dann vor Tagen wieder auftauchte. Das Parioli-Viertel hatte sich Mattarella ausgesucht, gleich um die Ecke von der Privatwohnung von Premier Mario Draghi. Nebenan das Restaurant „Ambasciata di Capri“, legendär dort die Fischgerichte sowie das gebratene Lamm. Keine schlechten Aussichten für das Alter.
Ruhestand muss warten
Nun wird es doch erst einmal nichts mit dem Ruhestand für Italiens Staatsoberhaupt. 759 von 1009 Wahlleute wählten Sergio Mattarella am Sonnabend erneut zum Staatspräsidenten, sein 2015 begonnenes Mandat verlängert sich somit um weitere sieben Jahre. Der 80-Jährige hatte zuvor bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen, dass diese Woche Schluss sei. Sein Pressesprecher hatte sogar ein Foto der Umzugskisten aus dem Quirinalspalast getwittert, damit auch ja niemand auf die Idee hätte kommen können, der Präsident würde doch noch weiter zur Verfügung stehen.
In Italiens Verfassung ist das sieben Jahre dauernde Mandat des Staatsoberhaupts festgeschrieben, von einer Neuwahl ist nicht die Rede. Fast alle seiner Amtsvorgänger hatten sich an diese ungeschriebene Regel gehalten, nur Mattarellas Vorgänger Giorgio Napolitano nicht. Doch auch den damals 87-Jährigen hatten die Parteien angesichts eines dramatischen politischen Patts beknien müssen, seine Amtszeit zu verlängern. Auch diesmal pilgerten die Fraktionsvorsitzenden der Koalition Mario Draghis hinauf auf den Quirinalshügel in Rom, wo der heute vom Staatspräsidenten bewohnte, zugleich prächtig und abweisend wirkende frühere Königs- und Papstpalast steht.
Zerbrechliches politisches Gleichgewicht
Jetzt macht Mattarella also weiter. Nach seiner Wiederwahl sagte er am späten Sonnabend in seinem Amtssitz in Rom, die schwierigen Bedingungen „zwingen dazu, sich den Pflichten, die rufen, nicht zu entziehen“. Diese müssten wichtiger sein als andere Erwägungen und persönliche Perspektiven, fuhr Mattarella fort. Er sprach weiter von einer Verpflichtung, die „Erwartungen und Hoffnungen der Mitbürger“ zu begreifen.
Mattarellas Wiederwahl beruhigt nicht nur Italiens Parlamentarier, Regierung, Wirtschaft, Finanzmärkte und internationale Partner. Sie kam aus dem Gebot zustande, das zerbrechliche politische Gleichgewicht in der Regierung Draghi nicht zu gefährden und kam gleichwohl nach einer Woche und acht Abstimmungen unter beinahe wahnwitzigen Bedingungen zustande.
Als „Komödie der machtlosen Macht“ umschrieb sie der „Corriere della Sera“. Die Rahmenbedingungen sind mit der Pandemie, der Verteilung der 191 Milliarden Euro EU-Corona-Hilfen und einem drohenden Krieg in der Ukraine so schwierig wie lange nicht. Die Viel-Parteien-Regierung von Ministerpräsident Draghi ist ein wackeliges Konstrukt der Not, das nur von der parteiübergreifenden Autorität des Premiers zusammenzuhalten ist. Deshalb schied Draghi letztlich auch als Kandidat für die Nachfolge Mattarellas aus. Die Parteien von der Fünf-Sterne-Bewegung über die Sozialdemokraten (PD) bis hin zur rechten Lega sind nicht nur untereinander, sondern auch intern zerstritten. Jede Kandidatur flackerte ein paar Stunden, um sich prompt in Luft aufzulösen.
Mattarella ist eigentlich ein Vollblut-Jurist. Vor seiner politischen Karriere unterrichtete der Katholik bis 1983 parlamentarisches Recht an der Universität Palermo. Für den Wahlbezirk West-Sizilien wurde er 1983 in die Abgeordnetenkammer in Rom gewählt und beendete damit seine akademische Laufbahn. Bis 2008 saß er sieben Legislaturperioden lang in der größeren der beiden Parlamentskammern Italiens.
Staatschef mit Macht
Der Vater dreier Kinder bekleidete in seiner politischen Karriere in Rom mehrere Ministerposten. 2011 wurde er Richter am Verfassungsgericht. Am 31. Januar 2015 krönte er schließlich seine politische Karriere mit der Wahl zum zwölften Staatspräsidenten Italiens. Ex-Regierungschef Matteo Renzi brachte Mattarella damals als Kandidaten ins Spiel.
Der Präsident hat in Italien Macht und ist ein wichtiger Lenker in politisch instabilen Zeit. Er kann Gesetze und Minister verhindern und die Parlamentskammern auflösen. Im vergangenen Jahr zerfiel die zweite Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte im Streit um die Corona-Wiederaufbauhilfen der EU. Mattarella pochte zunächst auf Sondierungen, um vorgezogene Wahlen zu verhindern. Als diese scheiterten, holte er Draghi, den früheren Chef der Europäischen Zentralbank, auf die politische Bühne.