Selten lag mehr Symbolik auf dem Familienfoto als bei diesem Spitzentreffen in London. Die Europäer und ihre Verbündeten präsentierten sich auf dem traditionellen Gruppenbild am Sonntag geschlossen, in ihrer Mitte als Zeichen der Unterstützung und Solidarität der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Würde sich hier die „Koalition der Willigen“ bilden, auf die der britische Premierminister Keir Starmer hofft, um europäische Sicherheitsgarantien wie etwa Friedenstruppen für die Ukraine auf den Weg zu bringen?
Das Foto im palastartigen Lancaster House veranschaulichte zumindest die Botschaft, die die Teilnehmer in die Welt senden wollten. Es sei der Moment „zusammenzustehen“, wie es Gastgeber Starmer zum Start des Krisengipfels zwei Tage nach dem denkwürdigen Eklat im Weißen Haus zwischen Selenskyj und US-Präsident Donald Trump sagte.
Das Zerwürfnis vor laufenden Kameras war die letzte Bestätigung für die Europäer, dass sie nun alleine dastehen. Starmer sprach von einem „einmaligen Moment für die Sicherheit Europas“. Ein guter Ausgang des Kriegs für die Ukraine sei „nicht nur eine Frage von richtig oder falsch“, sondern „lebenswichtig für die Sicherheit jeder Nation hier und auch vieler anderer“. Mit am Tisch saßen Deutschlands Noch-Kanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Polens Regierungschef Donald Tusk sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Nato-Generalsekretär Mark Rutte und Kanadas Premier Justin Trudeau.
Starmer eröffnete den Gipfel – flankiert von Selenskyj zu seiner linken, Macron zu seiner rechten Seite. „Wir sind alle bei Ihnen, bei der Ukraine, so lange es dauert“, sagte er an Selenskyj gewandt.
Die gemeinsame Wertegemeinschaft des Westens löst sich auf. Als Antwort wollten die Europäer deshalb eine Art Angebot aufsetzen, um die USA zurück an Bord zu bekommen. Zudem arbeite man an einem Plan für eine mögliche Waffenruhe. Wie könnte die „Sicherung eines gerechten und dauerhaften Friedens“ in der Ukraine aussehen? Frankreich und Großbritannien, die beiden europäischen Atommächte, zeigten sich bereits willens, nach einer wie auch immer gearteten Friedenslösung Soldaten in das kriegsgebeutelte Land zu schicken. Sie fordern jedoch eine Absicherung durch die USA. Deutschland und Italien lehnten in einem solchen Szenario bislang die Entsendung von Truppen ab.
Starmer präsentiert sich seit Tagen als Brückenbauer zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Am Sonntagmorgen hatte der Brite im BBC-Interview von der Vereinbarung berichtet, dass Großbritannien zusammen mit Frankreich „und möglicherweise ein oder zwei anderen Ländern“ mit der Ukraine an einem Plan zur Beendigung der Kämpfe arbeiten werde. Im Anschluss werde man diesen „mit den Vereinigten Staaten erörtern“. Starmer bezeichnete es als das Ergebnis von Gesprächen mit Selenskyj, Macron und Trump am Sonnabend.
Paris und London – sie übernehmen die Führungsrolle in dieser für den alten Kontinent beispiellosen Krise. Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas wurde von Starmer dagegen nicht erwähnt. Scholz sagte zwar, dass sich die Ukraine „auf Deutschland und auf Europa“ verlassen könne. Doch er gilt als das, was in politischen Zirkeln als „lame duck“ bezeichnet wird, lahme Ente. Nur noch geschäftsführend im Amt, haben seine Worte kaum noch Gewicht.
Für Europa kommt die innenpolitische Selbstbeschäftigung der Deutschen zur Unzeit. Diplomaten befürchten, dass Trump und Wladimir Putin eine wie auch immer geartete Lösung ausgehandelt haben könnten, ehe CDU/CSU und SPD zu einer Einigung gelangen. Es brauche nun „so schnell wie möglich eine handlungsfähige Bundesregierung“, hieß es in Brüssel fast schon verzweifelt.
Das Machtvakuum füllen nun die Regierungen in London und Paris. Vieles deutete darauf hin, dass auch Rom und Warschau eng eingebunden sein könnten. Meloni traf vor dem Gipfelstart am Sonntagmittag in der Downing Street Starmer, kurz darauf Selenskyj. Die Italienerin forderte einen US-Europa-Gipfel, um die Schwierigkeiten beizulegen.
Eigentlich sollte das Treffen in London nur eines von mehreren zum weiteren Vorgehen im Ukrainekrieg sein. Doch nach dem Eklat in Washington steht Europa mehr denn je unter Druck. Am Donnerstag findet ein Krisengipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel statt. Sie wissen zwar, dass es mehr Geld für Verteidigung braucht. Gleichwohl ist allen klar, dass diese Mittel an anderen Stellen fehlen werden, ob bei Bildung, Infrastruktur oder Sozialleistungen.
Hinzu kommt, dass Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán bereits eine Blockade möglicher neuer Unterstützungsbemühungen für die Ukraine ankündigte. Damit ist unwahrscheinlich, dass die EU neue Maßnahmen beschließen kann.