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Machtwechsel in Afghanistan Verzweifelt und planlos

Nato und EU wurden von den Ereignissen in Kabul völlig überrollt. Die Mitgliedstaaten wollen die Aufnahme von Flüchtlingen in den afghanischen Nachbarstaaten sicherstellen
17.08.2021, 21:26 Uhr
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Verzweifelt und planlos
Von Detlef Drewes

Eigentlich hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg eine seiner stets nüchternen Stellungnahmen angekündigt. Afghanistan sei ein „beispielloser Kollaps der militärischen und politischen Strukturen“ führte der Norweger aus. Er dankte den amerikanischen und britischen Einheiten, die gerade die Evakuierung „organisieren und absichern“. Dann brachte den trotz der schrecklichen Bilder aus Kabul steril wirkenden Chef der Allianz die Frage einer italienischen Korrespondentin aus der Fassung. Unter Tränen flehte sie den Nato-Generalsekretär an, die Frauen und Mädchen zu beschützen. Sie bat Stoltenberg, keine Gespräche mit den Taliban ohne Auflagen und Bedingungen zum Schutz der Frauen zu akzeptieren. Stoltenberg rang erkennbar um Worte, verwies darauf, dass das Bündnis auch weiter für die Menschenrechte kämpfen werde. Nur wie? Stoltenberg hatte keine Antwort.

Die Nato ist ebenso geschockt wie die EU. „Wir hatten befürchtet, dass die Uhrzeiger innerhalb von zwanzig Wochen um zwanzig Jahre zurückgestellt werden, doch unglücklicherweise reichten stattdessen weniger als zwanzig Tage“, räumte der italienische General Claudio Graziano ein, der Vorsitzende des EU-Militärausschusses. Noch am Dienstag der Vorwoche stritten die Mitgliedstaaten von EU und Nato miteinander, ob die Abschiebungen nach Afghanistan fortgesetzt werden könnten. Längst geht es nur noch darum, die Evakuierung der Europäer und der einheimischen Helfer zu organisieren. Die Außenminister der Gemeinschaft, die ebenfalls per Video tagten, versprachen sich gegenseitig, dass „jeder jeden Europäer“ mitnimmt, egal, ob es sich nun um deutsche, amerikanische, französische oder belgische Maschinen handelt. Ob das reicht, wollte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag nicht abschätzen. „Wir bemühen uns. Die Umstände am Flughafen Kabul sind mehr als schwierig“, sagte er und verteidigte zugleich sein Vorgehen. Berichte über einen Hilferuf der deutschen Botschaft in Kabul schon am Freitag wies er zurück. „Alle Mitgliedstaaten (der Nato, d. Red.) haben gleich gehandelt und seit Sonnabend in Krisenstäben die Evakuierung vorbereitet“, sagte er. „Ich würde meine Entscheidungen so wieder treffen“, betonte Maas.

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Die EU-Staaten richteten ihren Blick nach vorne und wollen mit den Nachbarländern Afghanistans die „humanitäre Zusammenarbeit“ intensivieren, um Asylsuchende, die dort ankommen, auch möglichst fern von Europa zu betreuen. „Wir sind bereit zu helfen“, sagte der Bundesaußenminister. Eine Fluchtwelle in Richtung Europäischer Union soll vermieden werden.
Doch warum waren sowohl die Allianz als auch die EU-Gemeinschaft derart unvorbereitet auf die schnelle Machtübernahme der Taliban? Im militärischen Hauptquartier der Nato im belgischen Mons sagen hochrangige Militärs, der Zusammenbruch der afghanischen Streitkräfte, die man fast 20 Jahre lang trainiert habe, war nicht vorherzusehen. Die Schuld, so hieß es, „liegt bei der Staatsführung in Kabul, die ihren eigenen Sicherheitsapparat bloßgestellt hat und lieber selbst geflohen“ ist.

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