Der Krieg hat begonnen – es waren eben diese Worte, die Neringa Rekasiutes Partner an dem Morgen, dem 24. Februar, zu ihr sagte. Es waren Worte, die die 33-Jährige in dem Moment nicht greifen konnte, erzählt sie bei einem Gespräch in einem Café in Vilnius. Die litauische Künstlerin gehört zu einer der ersten Generationen, die nach der 50-jährigen Besatzung des Sowjetregimes sicher in Litauen aufgewachsen ist, in Frieden, mit offenen Grenzen. „Wir können überall hingehen – und dann heißt es auf einmal: Der Krieg beginnt. So nah, so intensiv habe ich den Krieg noch nie erlebt“, sagt sie.
Die Künstlerin gilt in Litauen als eine der wichtigsten jungen Stimmen des Landes. In den vergangenen Monaten hat sie mit verschiedenen Kunstaktionen auch international Aufmerksamkeit erregt. Für die Performance „Swimming Through“ färbte sie im Frühjahr den Teich vor der russischen Botschaft in Vilnius blutrot. Die litauische Olympiaschwimmerin Ruta Meilutyte schwamm durch den See - als Zeichen der Hoffnung, wie es Rekasiute erklärt. Das Ziel der Aktion: auf die vielen Ermordeten in der Ukraine hinzuweisen, auf das Blut, das noch immer vergossen wird.

Elena Matera Litauen Vilnius
Kunst, so sagt die 33-Jährige, kann eine gute Möglichkeit sein, über den Krieg zu berichten. Gerade dann, wenn so viele Menschen müde sind von den Nachrichten, von dem Leid und einfach nur abschalten wollen. „Mit der Kunst findet man einen anderen Zugang, um über das Leid zu berichten. Man bringt die Menschen zum Nachdenken.“ Der Krieg habe auch Rekasiute verändert, erzählt sie. Sie selbst sei Feministin und bislang auch Pazifistin, Kriegsgegnerin gewesen. „Aber es ist ein Privileg, so zu sein“, sagt die Künstlerin. „Du kannst nur Pazifistin sein, wenn du nicht bedroht wirst, wenn dich niemand vergewaltigen, dein Land angreifen, deine Existenz zerstören will.“
Auch die baltischen Staaten könnten angegriffen werden, glaubt die litauische Künstlerin. „Die Litauer wollen ihr Land, das sie lieben, verteidigen, denn die Bedrohung ist real.“ Die meisten ihrer Freunde seien bereits in den vergangenen Monaten einer paramilitärischen Organisation in Litauen beigetreten.
Westliche Länder wie Deutschland würden die litauische Perspektive auf den Krieg nicht verstehen, sagt die Künstlerin. Für Rekasiute war vor allem der Offene Brief einiger deutscher Intellektueller und Künstler, der im April in der Zeitschrift Emma veröffentlicht wurde, sehr schmerzhaft zu lesen. In dem Brief wurde der Ukraine unter anderem eine Kapitulation nahegelegt. „Diese Leute verstehen nicht, wofür die Ukrainer kämpfen: für ihr Land, ihre Existenz, ihre Identität. Viele Westler sehen das Ganze sehr naiv, weil sie diese Bedrohung nicht kennen. Sie können nicht verstehen, was wir, die Länder der ehemaligen Sowjetunion, durchgemacht haben, wer wir sind“, sagt Rekasiute.
Für die Litauerin steht fest: Sie werde weiter mit Kunst auf den Krieg aufmerksam machen – und auch sie selbst möchte das Kämpfen erlernen, im Sommer. „Ich hoffe, dass ich nie jemanden töten muss“, sagt die 33-Jährige. Aber sie will vorbereitet sein – für den Ernstfall.