Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Parlamentswahl Iraks Politikerinnen ergreifen ihre Chance

Die Iraker wählen ein neues Parlament. Ob die Neuwahl eine Veränderung bringt, muss sich noch zeigen. Eines allerdings ist schon klar: Die Volksvertretung in Bagdad wird weiblicher, meint Birgit Svensson.
10.10.2021, 18:47 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Iraks Politikerinnen ergreifen ihre Chance
Von Birgit Svensson

Der Fortschritt kommt auf leisen Sohlen, aber er kommt. Im Irak gibt es eine ähnliche Richtungswahl wie in Deutschland. Ob sich die politische Landschaft grundsätzlich ändert oder nur langsam, werden die Ergebnisse der Parlamentswahlen von diesem Sonntag zeigen. Haben die Iraker Mut zur Veränderung? Oder halten sie lieber an dem Zustand fest, der seit der amerikanisch-britischen Besatzung gilt?

Das Land wurde in ethnische und religiöse Gruppen unterteilt: Schiiten, Sunniten, Kurden und Araber. Damit wollen vor allem die jungen Iraker Schluss machen. Zwei Jahre lang sind sie dafür auf die Straßen gegangen und haben einen hohen Blutzoll gezahlt. Mehr als 600 Demonstranten sind getötet, Tausende verletzt und ebenfalls Tausende bedroht worden. Nicht wenige hielten den Druck nicht mehr aus und sind in die Nachbarländer geflohen, vor allem in die Türkei. Ob die vorgezogenen Neuwahlen – eine Forderung der Protestbewegung – tatsächlich eine Veränderung in der politischen Landschaft Iraks bringen, werden die Ergebnisse zeigen. Das dürfte noch eine Weile dauern.

Eines allerdings ist schon jetzt klar: Die Volksvertretung in Bagdad wird weiblicher. Noch nie gab es so viele Kandidatinnen wie dieses Mal. Und viele von ihnen präsentieren sich als parteiunabhängig. 936 Frauen bewarben sich um die 329 Sitze im ehemaligen Kongresszentrum in Bagdads Grüner Zone, das nach Saddam Husseins Sturz 2003 zum Parlamentssitz umgestaltet wurde. Die Hälfte der Kandidatinnen ist unabhängig. Das erlaubt das neue Wahlgesetz, das erstmals Direktkandidaturen zulässt.

Nour Ahmad Alkhawan, eine unabhängige Kandidatin in Bagdad, ist dankbar für die Neuerung. Bei den Wahlen 2018 kandidierte sie auf der Liste einer Partei. Jetzt alleine, und sie fühlt sich besser damit. Die Leute hätten die Nase voll von politischen Parteien, die das Land nicht weiter gebracht hätten und nur in die eigene Tasche wirtschafteten. Sie befürwortet die Neuerung, weil die Menschen konkrete Ansprechpartner hätten, ihre Anliegen direkt vortragen könnten und nicht im Parteienapparat untergingen. Laut einer weiteren unabhängigen Kandidatin, Alyaa al-Maliki, schließen sich Frauen ungern Parteien anschließen. Dazu seien sie in der Vergangenheit gezwungen gewesen, wegen der Quote.

Lesen Sie auch

Irak ist neben Tunesien das einzige Land im Nahen und Mittleren Osten, in dem rechtlich festgelegt ist, wie hoch der Anteil von Frauen in der Volksvertretung sein muss. In Tunesien sind es 50, im Irak 25 Prozent. Während in Tunesien die Quote nur fürs Parlament gilt und im Wahlgesetz geregelt ist, steht sie im Irak in der Verfassung und gilt für alle Volksvertretungen, auch für die Provinzräte.

Bislang haben seit dem Sturz von Saddam vor 18 Jahren meistens Parteien und religiöse Gruppen die Quotenfrauen ausgesucht, die sie auf ihre Listen setzten. Damit war sichergestellt, dass zumeist bequeme und im Einklang mit der Herrenriege stimmende Frauen im Parlament saßen. Jetzt wendet sich das Blatt. Das neue Wahlgesetz, das nach den Massenprotesten der letzten zwei Jahre ausgearbeitet wurde, hat kleinere Wahlbezirke und stärkt unabhängige Kandidaten. Falls Alyaa al-Maliki gewinnt und ins Parlament einzieht, wird eine aufmüpfige und aneckende Parlamentarierin dabei sein.

Bei den Frauen im Irak herrscht Aufbruchstimmung. Die Wahlen werden als große Chance gesehen, mehr Einfluss zu bekommen. Von Wahl zu Wahl sind Fortschritte zu beobachten. Vorbei sind die Tage, als Frauen - wie noch vor zehn Jahren - sich nicht trauten, öffentlich aufzutreten, ihre Gesichter versteckten und auf Wahlplakaten nur Listenplatz und Partei genannt wurde. Denn in Provinzen wie Anbar, nordwestlich von Bagdad, oder im Süden Iraks, wo religiöse Parteien und Gruppen das Sagen hatten, sollten sich Frauen im Haus aufhalten, nicht in der Öffentlichkeit. Auch wenn der Stern von Angela Merkel in Deutschland verglüht, im Irak strahlt er noch hell. Für viele ist sie zum Vorbild für den Aufstieg einer Frau in hohe Regierungsämter geworden. Sumaia al-Khabouri, Kandidatin in Mossul, sagt: „Schickt Merkel zu uns, wir brauchen sie hier.“

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)