Eine Woche hat es gedauert, bis die Stimmen in einigen Wahllokalen von Hand nachgezählt waren und das Ergebnis bekannt gegeben wurde. Das elektronische System versagte oder war nicht richtig bedient worden. Doch der Trend, der schon gleich nach der Wahl am vergangenen Sonntag zu beobachten war, wird durch die offiziellen Resultate bestätigt.
Demnach haben die Iraker die vom Iran unterstützten Parteien weitgehend abgewählt und im Süden des Landes eine neue Parteienlandschaft geschaffen. Kandidaten, die aus der Protestbewegung kommen, bestimmen dort das Feld.
Fatah-Partei stürzt ab
Die Fatah-Partei, eine Gruppierung aus Teheran hörigen Schiitenmilizen, die sich im Kampf gegen den IS im Norden zur Volksmobilisierungsfront zusammengeschlossen hatten, hat über die Hälfte der Stimmen gegenüber der letzten Wahl 2018 verloren. Das wiegt schwer. Im jetzt einsetzenden Koalitionspoker dürfte Fatah nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Unangefochtene Nummer eins allerdings ist und bleibt der schiitische Kleriker Moktada al-Sadr. Er konnte bei dieser Wahl sogar noch zulegen. Die geringe Wahlbeteiligung von nur 42 Prozent kam ihm zu Hilfe. Denn wie kein anderer, hat Sadr seine Wähler mobilisieren können. Mit dem Bagdader Armenviertel Sadr City, das nach seinem Vater benannt ist, hat er mit fast zwei Millionen Menschen eine Hochburg geschaffen, die ihm niemand streitig machen kann. Dort ist alles unter seiner Kontrolle, von der Strom- über die Wasserversorgung, bis hin zu Sicherheit und Verwaltung. Fährt man durch Sadr-City, hat man das Gefühl nicht in Bagdad zu sein.
„Irak den Irakern!“
Das Viertel ist zu einer Stadt in der Stadt geworden. Der mittlerweile ergraute Spätvierziger ist bei allem Wankelmut, den er in den letzten Jahren bewiesen hat, sich doch in einem treu geblieben: „Irak den Irakern!“ Er fordert immer wieder den Abzug ausländischer Truppen und das nicht nur der Amerikaner. Auch Türken und Iraner sollten sich nicht in irakische Angelegenheiten einmischen. Und mit Teheran hat er jetzt ein Problem.
Tishreenis nennen die Iraker die Oktoberprotestierer, die vor zwei Jahren massenweise auf die Straße gingen und den gesamten Süden bis zur Hauptstadt Bagdad mit ihren Zelten belagerten. Ihre Hartnäckigkeit führte letztendlich zu diesen vorgezogenen Neuwahlen, nachdem sie den Rücktritt der damaligen Regierung und die Änderung des Wahlgesetzes durchgedrückt hatten. Doch ihre Hauptforderung, diejenigen zu belangen, die über 600 von ihnen getötet haben, blieb die Interimsregierung unter Mustafa al-Kadhimi schuldig. Deshalb blieben viele den Wahlurnen fern. Ihr Misstrauen gegenüber den Politikern ist inzwischen grenzenlos.
Andere wiederum gründeten neue Parteien und schlossen sich zur Bewegung Imtidad zusammen. Sie wollen am politischen Prozess, der jetzt nach den Wahlen einsetzt, beteiligt sein. Im Süden sind sie erfolgreich, dominieren in der Provinz Dhi Qar mit der Provinzhauptstadt Nasserija sogar die politische Szene. „Eine der größten Herausforderung für Imtidad, was soviel heißt wie Fortbestand, war die Unterstützung der Menschen zu gewinnen, ohne die üblichen Wahlgeschenke der traditionellen Parteien.“
Nissan Abelredha al-Zayer ist 44 Jahre alt und hat es auf Anhieb ins Parlament geschafft. Wo immer sie auftauchte, hätten die Leute um Geld, Geschenke oder Gefälligkeiten ersucht, um sie zu wählen, erzählt sie. „Sie konnten es einfach nicht glauben, dass wir keine großen Geldsummen im Wahlkampf zur Verfügung hatten.“ Trotzdem hat sie als Frau und Direktkandidatin die meisten Stimmen im gesamten Irak bekommen.
Viele Stimmen für Ex-Premier Nouri al-Maliki
Auch wenn die Wahlen definitiv eine Veränderung der politischen Landschaft im Irak hervorgebracht haben, bleibt doch die Frage, wie die Resultate nun umgesetzt werden. Denn noch immer sind auch Kräfte und Personen gewählt worden, die dem alten System verhaftet sind. So konnte Ex-Premier Nouri al-Maliki erstaunlich viele Stimmen auf sich vereinigen. Seine sektiererische Politik wird für den Aufstieg des IS verantwortlich gemacht. Und in den Kurdengebieten hat der Barzani-Clan ebenfalls viele Wähler mobilisiert, die Veränderungen ablehnen.
Die Kurden halten nach wie vor an der ethnischen und religiösen Machtaufteilung im Irak fest, so wie sie die Amerikaner 2003 eingeführt haben. Genau dagegen gingen Hunderttausende zwei Jahre lang auf die Straße.