Was soll man von einem Staat halten, der auf die Mitteilung von hilfsbereiten Bürgern, ukrainische Flüchtlinge aufgenommen zu haben, als erstes mit der Erhöhung der Abfallgebühren reagiert? So geschehen in Ehingen und Ludwigsburg in Baden-Württemberg. Und ukrainische Flüchtlinge, die in Notunterkünften auf dem Messegelände in Hannover unterkamen, erhielten quasi zur Begrüßung Gebührenbescheide über eine Summe von jeweils 411 Euro. Immerhin: Die Stadt bedauerte schnell die entstandenen "Irritationen" und erklärte die Bescheide für nichtig.
Viele werden sich wahrscheinlich nicht einmal darüber wundern, sondern sich bestätigt fühlen. Ja so ist er eben, der deutsche Staat: gnadenlos durchbürokratisiert, perfekt in der Ausführung auch der sinnlosesten Vorschriften und meilenweit von den Ankündigungen und Ansprüchen der Politiker und den Bedürfnissen der Bürger entfernt.
Ja, sicher, solche Vorkommnisse sind Einzelfälle, wie es immer so schön heißt. Aber diese Einzelfälle häufen sich. Es scheint schwierig, jemanden zu finden, der mit zufriedenem Gesicht aus einem Amt kommt und verkündet: Ja, man hat mir wirklich geholfen.
Liegt es an der allgemeinen Griesgrämigkeit, an der Neigung zur Unzufriedenheit oder an übersteigerten Erwartungen der Deutschen an die Leistungsfähigkeit ihres Staates? Wohl auch, aber keinesfalls ausschließlich. Jeder, der im benachbarten Ausland mehr als nur ein touristisches Programm absolviert, weiß: Der Umgang anderer Staaten mit ihren Bürgern ist oft beneidenswert menschlicher, einfacher und deutlich serviceorientierter.
Insbesondere in den skandinavischen Ländern, aber auch in Österreich und der Schweiz scheint der Übergang von einer obrigkeitsstaatlichen Verwaltung weitaus besser gelungen zu sein. Statt die Bürger als Bittsteller zu betrachten, gibt es echten Bürgerservice, der statt zu blockieren Dinge möglich macht.
Lange haben sich die Bürger von Bürokraten und Lobbyisten einreden lassen, dass Deutschland wenn nicht über die beste, so doch über eine der besten Verwaltungen der Welt verfügt. Dass fast alles optimal funktioniert und so gut wie keine Fehler gemacht werden. Und wenn es doch solche gibt, soll häufig der Antragsteller schuld sein. Doch schleichend verlieren die Deutschen den Glauben an diese Erzählung – und damit das Vertrauen in den Staat.
Längst nicht überall, wo sich deutsche Behörden mit dem Zusatz Bürgerservice schmücken, ist ein solcher auch drin – oft ist das Gegenteil der Fall. Das gilt insbesondere für die Großstädte mit ihren hohen Wohnkosten, in denen es an motivierten Verwaltungsmitarbeiter mangelt, während die Flut an Gesetzen und Verordnungen stetig anwächst. Vor einigen Wochen setzte Bayerns Regierungschef Markus Söder einen "Normenkontrollrat" ein, eine Art "Bürokratie-Tüv". Dieser soll Gesetze sowie Verordnungen daraufhin prüfen, ob und inwieweit ein Bürokratieabbau möglich ist.
Stoiber wollte sogar die EU entbürokratisieren
Wer sich an die zahlreichen gescheiterten Versuche der vergangenen Jahrzehnte erinnert, den Vorschriften-Dschungel abzubauen oder wenigstens zu stoppen, gibt dem Vorhaben keine große Chance. Auch Söder hat als Finanzminister in Bayern schon einmal öffentlichkeitswirksam alte Verordnungen geschreddert. Sein Amts-Vorvorvorgänger Edmund Stoiber wollte sogar die EU entbürokratisieren. Oder wenigstens hat er daran geglaubt, dass er es tut.
Kommissionen und Entbürokratisierungsbeauftragte haben ihre Machtlosigkeit hinreichend unter Beweis gestellt. Die Bürger müssen sich selbst kümmern. Man muss sich nicht in die Falle behaupteter Alternativlosigkeit ("Das geht nicht") locken lassen, sondern sich wehren. Und zwar so lange, bis sich wirklich etwas bewegt. Denn man sieht es immer wieder: Eine einzelne Beschwerde wird als Mäkelei eines Querulanten abgetan, Hunderte von Beschwerden empfinden Staatsbedienstete und gewählte Volksvertreter als Bedrohung. Wenn der Einsatz gegen die überbordende Bürokratie von oben keinen Erfolg hat, so liegt die Chance vielleicht darin, von unten Reformen anzustoßen.