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Kommentar über Plastikmüll China macht die Grenzen dicht

China verhängt einen Importstopp für Plastikmüll. Jetzt haben Deutschland und die EU ein Problem. Der Handlungszwang könnte aber auch eine Chance sein, meint unser Politikredakteur Norbert Holst.
21.01.2018, 16:14 Uhr
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Von Norbert Holst

Der Strohhalm ist für Anti-Plastik-Aktivisten weltweit das Symbol für Einwegkonsum mit drastischen ökologischen Konsequenzen: Es dauert fünf Sekunden, einen Strohhalm aus Plastik zu produzieren, fünf Minuten, um ihn zu nutzen, und bis zu 500 Jahre, bis sich das Material abgebaut hat.

Es gab die Bronzezeit, die Eisenzeit – die Menschen haben Epochen nach dem wichtigsten Material benannt. Plastik ist der Stoff, aus dem die Moderne ist. Verbunden mit entsprechenden Abfallbergen. Jahr für Jahr fallen in Deutschland rund sechs Millionen Tonnen an. Ein schlechtes Gewissen haben viele Menschen trotzdem nicht. „Ich trenne meinen Müll, deshalb kann ich ohne große Sorgen einkaufen.“ Sofunktioniert der moderne Ablasshandel.

Die Anti-Plastik-Aktivisten schienen lange Zeit auf verlorenem Posten. Dann kam die Entscheidung aus China: Das Reich der Mitte will ab sofort nicht mehr die Müllhalde Europas sein. Die bequemen Zeiten, in denen Container-Schiffe die Müllsäcke als Rückfracht nahmen, sind vorbei. Vorbei ist der Deal, der beiden Seiten viele Vorteile brachte: Der Westen wurde seinen Abfall los, chinesische Firmen ließen ihre Arbeiter den Müll nach verwertbaren Stoffen durchwühlen.

Zehn Prozent des deutschen Plastikmülls landeten in Asien

Jetzt hat Deutschland ein echtes Problem. Rund zehn Prozent des Plastikmülls aus den Haushalten landeten bislang in Fernost. Die Bundesrepublik und auch die meisten EU-Partner müssen einen Dreiklang organisieren, um die wegbrechende Entsorgung in China zu kompensieren: genauer sortieren, besser aufbereiten, mehr recyceln.

Nur gefühlt ist Deutschland der Weltmeister der Wiederverwertung. Angebliche Erfolge wurden mit dem Export minderwertiger Mischkunststoffe nach China schöngerechnet. Auch der Gelbe Sack gaukelt eine moderne Abfallverwertung nur vor: Weniger als die Hälfte der Verpackungsmaterialien werden tatsächlich recycelt, ein erheblicher Anteil wird verbrannt. Das Problem: In der Wirtschaft hapert es an der Akzeptanz wiederaufbereiteter Kunststoffe, weil es keine Standards für recycelten Plastikmüll und Zweifel an der Qualität gibt.

An diesem Punkt will die EU-Kommission ansetzen, die mit einem Strategieprogramm schnell auf Chinas Müllimport-Stopp reagiert hat. Bis 2030 sollen sämtliche Plastikverpackungen wiederverwertbar werden. Die Kommission will der Industrie Vorgaben machen, um dieses Ziel zu erreichen. Sie will zudem Regeln zur Vermeidung von Einwegprodukten aus Plastik – vielleicht ja auch für Strohhalme. Haushaltskommissar Günther Oettinger hat sogar eine Plastiksteuer ins Gespräch gebracht.

Politik muss sich des Themas annehmen

Die EU-Kommission wird oft belächelt, wenn sie sich Gedanken über den Krümmungsgrad von Gurken macht oder sich von der Automobilindustrie über den Tisch ziehen lässt. Aber für den Plastikmüll hat sie einen realistischen Plan vorgelegt, um die Plastikflut einzudämmen.

Auch die deutsche Politik muss sich nun des Themas annehmen. In den Anfangszeiten moderner Recycling-Technik hatte Deutschland die Nase vorn, früh die Mülltrennung eingeführt und dann das Dosenpfand erhoben. Doch an der bundesweiten Einführung einer Wertstofftonne – die im Gegensatz zum Gelben Sack nicht nur den Verpackungsmüll erfassen würde – ist die Bundesregierung in mehreren Anläufen seit 2011 immer wieder gescheitert. Sie konnte die Interessen von Privatwirtschaft und Kommunen nicht unter einen Hut kriegen.

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China hat Europa und Deutschland unter Handlungszwang gesetzt. Dieser Druck kann auch eine Chance sein. Viele Kunststoffe sind kleine Wunderwerke, sie sind praktisch, machen das Leben bequemer. Doch ihre Ökobilanz ist sehr zweifelhaft: Sie basieren auf fossilen Rohstoffen, dienen häufig überflüssigen Einwegprodukten, haben oft nur eine kurze Lebenszeit, und ihre Herstellung verbraucht viel Energie, was wiederum nicht gut fürs Klima ist.

Den riesigen Berg Plastikabfall zu verkleinern, kann nur gelingen, wenn alle Betroffenen mitziehen. Es ist höchste Zeit, dass Industrie, Verpackungswirtschaft und Handel die Herausforderung kreativ angehen. Und auch der Verbraucher ist gefragt. Das Beispiel Plastiktüte zeigt: Es geht doch! Seit die Tüten nicht mehr kostenlos abgegeben werden, ist ihr Verbrauch um ein Drittel gesunken.

Es geht noch mehr. Muss jede „Mon Chéri“-Praline einzeln verpackt sein? Für den „Coffee to go“ werden allein in Deutschland jährlich drei Milliarden Einwegbecher weggeworfen. Und der Strohhalm? Bei Eiscafé und Cocktail ist auf ihn schwer zu verzichten. Aber es gibt längst schicke Mehrweg-Varianten.

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