Die Angst geht um unter Europas Regierungschefs, die Angst vor einer neuen Corona-Variante und vor einer noch schnelleren Verbreitung des Virus. Zwar ist noch nicht genug bekannt über die in Großbritannien festgestellte Virusvariante B.1.1.7. (auch VUI-202012/01 genannt), doch die Bundesregierung hält sie für so gefährlich, dass sie bereits einiges veranlasst hat, um sie von Deutschland fernzuhalten. Ähnlich handelten zahlreiche andere Länder – mit schwerwiegenden Folgen für das Vereinigte Königreich.
Was weiß man über die Gefährlichkeit der neuen Variante?
Je weniger Menschen sich infizieren, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass gefährliche Virusvarianten entstehen. Denn Viren mutieren ständig. Wann immer sie in den Zellen eines Infizierten vervielfältigt werden, passieren Fehler, Vertipper beim Abschreiben des Erbguts. Die meisten dieser Virusvarianten sind infolge solcher Mutationen nicht überlebensfähig. Bei fast allen übrigen ändern die Vertipper nicht, wie das Virus Menschen infiziert oder krank macht. Doch manchmal kann es auch Erbgutveränderungen geben, die das Virus ansteckender, aggressiver oder harmloser machen.
Bei der in Großbritannien mindestens seit 20. September kursierenden Virusvariante B.1.1.7. vermutet das Expertenkomitee NERVTAG (New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group), dass die Mutationen zu einer „wesentlichen Steigerung der Übertragbarkeit im Vergleich zu anderen SARS-CoV-2-Varianten führen könnte“. Die Variante könnte 71 Prozent ansteckender sein, heißt es in dem NERVTAG-Papier. Das sei allerdings nur eine grobe Abschätzung, die sich allein aus Genomsequenzierungsdaten ergibt, sagt Roman Wölfel vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München. „Auf der Basis der in Großbritannien vorliegenden Daten kann man dann Übertragungswahrscheinlichkeiten für verschiedene Virusvarianten ausrechnen.” NERVTAG-Leiter Peter Horby hat aufgrund dessen inzwischen „großes Vertrauen“, dass das Virus tatsächlich ansteckender ist. Womöglich kann es Kinder besser infizieren als ältere Sars-CoV-2-Varianten, jedenfalls seien bei ihnen vergleichsweise viele B.1.1.7-Varianten gefunden worden. Aber auch das ist nur eine Vermutung. Möglich ist auch, dass die Variante zufällig in eine Reihe von Superspreading-Events geraten ist und sich deshalb so stark verbreitet hat.
Woher kommt die britische Variante und ist sie mit der südafrikanischen verwandt?
Der Ursprung der britischen Virusvariante ist unklar. Das Covid-19-Genom-Konsortium vermutet allerdings, dass die Variante sich in Patienten mit geschwächtem oder defektem Immunsystem entwickelt haben könnte, die oft lange brauchen, um Covid-19 zu überwinden. Die Viren haben also viel Zeit, sich ungestört vom Immunsystem zu vermehren und zu verändern. Auch der Ursprung der in Südafrika kursierenden Variante ist unbekannt. Mit der britischen hat sie allerdings nichts zu tun.
Kann es sein, dass die Variante bereits in Deutschland ist?
Mit Großbritannien unterhält Deutschland regen Waren- und Personenverkehr, sodass eine in Großbritannien seit September kursierende Virusvariante wohl auch den Weg nach Deutschland gefunden hat. In Dänemark, den Niederlanden, Australien und womöglich Belgien ist sie bereits entdeckt worden. Am Institut für Virologie der Charité in Berlin, wo derartige Varianten gemeldet werden, ging bisher allerdings kein Hinweis ein. Dass kann aber daran liegen, dass in Deutschland wesentlich weniger Virusgenome sequenziert werden. Der Leiter Christian Drosten hält es für wahrscheinlich, dass die Variante bereits – unerkannt – hier ist.