Frau Zille, Donald Trump hat gerade seine Rede an die Nation gehalten. Verzeihen Sie, wenn ich das sage: Sie haben mit ihm etwas gemein. Wissen Sie was?
Helen Zille: Ich habe keine Idee.
Auch Sie twittern gerne und viel.Viele Menschen machen das.
Stimmt, aber Sie sind in ihren Tweets, wie der amerikanische Präsident, nicht zimperlich.Ich muss klarstellen: Donald Trump und ich sind ideologisch so weit voneinander entfernt, wie wir es nur sein können.
Das glaube ich Ihnen, aber Sie reden Tacheles via Twitter. So haben Sie vor etwa zwei Jahren wegen eines Tweets viel Ärger mit der Demokratischen Allianz gehabt, weil Sie geschrieben haben, das Erbe des Kolonialismus habe Südafrika nicht nur Schlechtes gebracht. Warum haben Sie das gemacht?In der Tat: Ich habe einen Tweet abgesetzt und die Erde hat sich bewegt in Südafrika.
So passiert es Trump häufiger.Ja. Und ich finde das faszinierend. Ich habe damals gedacht, ich sage etwas allgemein Bekanntes. Doch die ganze Community, alle Bots und Trolle und meine politischen Gegner versuchten, das auszunutzen und mich in einem bestimmten Licht darzustellen. Über soziale Medien funktioniert das natürlich sehr gut. Dabei habe ich doch nur etwas ganz Offensichtliches ausgesprochen. Aber alles, was nicht zur im Moment politisch korrekten Sichtweise passt, wird bekämpft. Und diese Sichtweise wird dominiert vom African National Congress. Ich scheue mich trotzdem nicht, meine Meinung zu sagen.
Nein, ein Präsident sollte das nicht tun. Aber ich mache mit Tweets keine Weltpolitik, noch nicht einmal Innenpolitik. Ich sage nur öffentlich meine Meinung. Es kann nicht sein, dass sich Weiße in Südafrika quasi für ihre Existenz entschuldigen müssen.
Frau Zille, wir sind eigentlich Kollegen. Sie haben als Politikjournalistin angefangen, haben für die in Johannesburg erscheinende Zei-tung „Rand Daily Mail“ gearbeitet, die 1985 eingestellt wurde. War das eine gute Schule für Sie?
Ja, eine sehr gute sogar. Es lehrte mich, Druck auszuhalten und mit Deadlines umzugehen. Es lehrte mich, Politik aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und richtig zu verstehen. Und es lehrte mich, hart zu kämpfen gegen Apartheid und meine Position zu verteidigen.
War es damals etwas Besonderes, eine weiße Kritikerin der Regierung von Pieter Willem Botha zu sein?Nein, jeder wusste ja, was Sache war. Ich war und bin eine klassische Liberale. Damals habe ich mich gegen den ethnischen Nationalismus der Nationalpartei gewehrt, jetzt wehre ich mich gegen den ethnischen Nationalismus des ANC. Und das geht heute Hand in Hand mit Korruption, die ich ebenfalls bekämpfe.
Bekamen Sie die Staatsgewalt zu spüren?Schon. Ich wurde eingesperrt, ich wurde angeklagt, ich musste mich mehrere Male verstecken. Aber ich war körperlich nie in Gefahr. Das gehörte damals für mich zum Alltag. Später, als Politikerin, wurde ich entführt und in meinem Haus mit einem Messer attackiert. Meine Leibwächter haben mir mehrere Male das Leben gerettet.
Wie frei war die Presse damals, wie frei ist sie heute in Südafrika?Sie war nicht so frei wie heute, es gab schon Kontrollen. Heute gibt es unabhängige Medien, obwohl manche davon von Strohmännern der Regierung übernommen worden sind. Aber nichtsdestotrotz: Durch das Internet hat sich viel geändert. Deshalb gehört das Twittern für mich auch zur freien Meinungsäußerung dazu. Jeder kann sagen, was er will. Aber natürlich wird über die sozialen Medien auch so etwas wie eine künstliche Empörung transportiert. Das ist die Kehrseite.
Südafrika ist nach dem Ende der Apartheid 1994 mit großen Hoffnungen in die Zukunft gestartet, getragen von der Symbolfigur Nelson Mandela. Was ist aus diesem Traum geworden?Kurz zusammengefasst: eine Zentralisierung der Macht, Freunde in Schlüsselfunktionen bringen, Korruption und ein krimineller Staat. So läuft das in Südafrika. Politisch loyale Leute werden in allen wichtigen Einrichtungen und Gesellschaften des Staates platziert. Es gibt keine Trennung zwischen Partei und Staat mehr, keine wirksamen Kontrollmechanismen. Das sind die Probleme – und dagegen kämpfe ich an. Für die Einhaltung der Gesetze, für einen handlungsfähigen und unabhängigen Staat, gegen Rassismus.
Stichwort Korruption. Wird es mit dem neuen Präsidenten Cyril Ramaphosa besser? In ihn werden viele Hoffnungen gesetzt.Das lässt sich jetzt noch nicht sagen. Ich denke, er hat gute Absichten. Aber Absichten und Realität sind in Südafrika zwei verschiedene Dinge. Ramaphosa ist umgeben von anderen einflussreichen ANC-Männern. Seine Handlungsmöglichkeiten sind eng begrenzt.
Voraussichtlich im Mai wird in Südafrika gewählt. Fällt zum ersten Mal die Mehrheit des ANC?Ich denke nicht. Wahlen funktionieren bei uns schon als ein Abbild des Willens des Volkes, aber Politiker werden nicht zur Verantwortung ihres Handelns herangezogen. Das klappt nur in fortgeschrittenen Demokratien. Aber die Mehrheit für den ANC wird sinken, und das ist gut.
Im vergangenen Sommer war eine Bremer Delegation aus Politik und Wirtschaft in Südafrika zu Gast. Damals wurden keine Verträge vor Ort abgeschlossen. Was ist von diesen Treffen geblieben?Ich wollte, dass diese Treffen zu sehr wichtigen Entscheidungen über unsere Häfen führen, insbesondere des Hafens in Saldanha nördlich von Kapstadt. Die Bremer Delegation hat uns angeboten, bei diesem Hafen zu helfen.
Warum wurde daraus bisher nichts?Das liegt am zuständigen Minister in Südafrika. Ich habe ihm mehrmals Briefe geschickt, wir haben aber bis heute keine Antwort erhalten, nur eine Bestätigung, dass der Brief angekommen ist. Es sind staatliche Unternehmen, die den Hafen betreiben. Wie alle staatlichen Unternehmen sind sie sehr dysfunktional.
Woran liegt das?An der Zentralisierung der Macht. Ein Minister ernennt die Unternehmensspitze, die Firma wird zum Vehikel für Korruption und nimmt ihre eigentliche Arbeit nicht mehr wahr. Alle unseren staatlichen Unternehmen leiden unter dieser Logik.
Haben Sie Hoffnung, dass die Zusammenarbeit mit Bremen noch zustande kommt?Ja, ich hoffe das sehr. Das Land Bremen hat einen der effizientesten Häfen weltweit. Wenn es ein gemeinsames Hafenprojekt gibt, dann kann man wirklich Beziehungen zwischen Bremen und Südafrika aufbauen. Beziehungen müssen einen Sinn und Zweck haben. Besonders die Hafenwirtschaft steht in Südafrika im Fokus, doch es scheint nicht zu fruchten, weil es dafür einen kompetenten Nationalstaat braucht.
Nun müssen wir noch klären, was es mit ihrem Namen auf sich hat. Überall kann man lesen, sie seien die Großnichte des Berliner Milieukünstlers Heinrich Zille. Stimmt das?Nein, ich denke, das bin ich nicht. Ich besitze zwar einen Familienstammbaum, der zeigt, dass ich mit Zille verwandt bin. Aber sicher ist das nicht. Deshalb will ich mich nicht mit einer Verwandtschaft schmücken, die vielleicht gar nicht besteht.
Das Gespräch führten Hans-Ulrich Brandt und Jonas Mielke.Helen Zille (67) ist eine südafrikanische Politikerin mit deutschen Vorfahren. Sie war einige Jahre Bürgermeisterin von Kapstadt und von 2007 bis 2015 Vorsitzende der Demokratischen Allianz (DA). Seit dem 6. Mai 2009 ist sie Premierministerin der Provinz Westkap.
Weitere Informationen
Hellen Zille wird an diesem Donnerstag im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema „Wo steht Südafrika - ein Jahr nach dem Regierungswechsel?“ in der Handelskammer Bremen einen Vortrag halten. Die Veranstaltung beginnt um 13 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.