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Kommentar zur Corona-Strategie Die Regierenden haben die Mehrheit verloren

Der Politik fällt derzeit nicht viel mehr ein als die Rezepte des vergangenen Jahres, meint Markus Peters. Alle Wege in eine erträgliche neue Normalität haben die Regierenden versemmelt.
29.03.2021, 05:00 Uhr
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Die Regierenden haben die Mehrheit verloren
Von Markus Peters

Die vergangene Woche markiert einen Einschnitt in der Corona-Politik in Deutschland. Während sich die Regierenden in Bund und Ländern im gesamten Pandemiejahr zuvor auf einen breiten Konsens in der Bevölkerung verlassen konnten, hat die Zustimmung zu den Maßnahmen erstmals so weit nachgelassen, dass die Mehrheit inzwischen der Regierung ein schlechtes Zeugnis ausstellt. Dabei ist es keineswegs so, dass Unzufriedenheit nur in eine Richtung spürbar ist. Während einem Teil der Bevölkerung die Maßnahmen zu weit gehen, reichen sie einem anderen Teil nicht weit genug.

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Das Fatale ist: Die Politik hat den Stimmungswandel offenbar noch nicht mitbekommen und macht so vielstimmig weiter wie zuvor. Seitdem die „Ruhepause“ vor Ostern vom Tisch ist, drängeln sich Städte, Landkreise und ganze Bundesländer darum, künftig als Modellregion lockern zu wollen. Trotz stark steigender Infektionszahlen. Andere – wie SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach – fordern dagegen einen harten Lockdown mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen.

Abgesehen davon, dass Studien – unter anderem der renommierten Oxford-Universität – längst nachgewiesen haben, dass der Effekt von Ausgangssperren auf die Entwicklung der Infektionszahlen eher gering ist, sind solche Maßnahmen in Deutschland flächendeckend nur schwer rechtlich durchsetzbar. Die Verwaltungsgerichte haben ihren Urteilen zu Corona-Reglementierungen stets einen nachweisbaren Zusammenhang zu den Zielen des Infektionsschutzes eingefordert.

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Aber die Bürger erwarten von den Regierenden in Bund und Ländern mehr als einfach nur einschließen und wegsperren. Die spürbare Frustration in der Bevölkerung rührt unter anderem daher, dass der Politik nicht viel mehr einfällt als die Rezepte des vergangenen Jahres. Alle Maßnahmen, die eine Lockerung der Einschränkungen und einen Weg in eine erträgliche neue Normalität gewiesen hätten, haben die Regierenden gnadenlos versemmelt.

Lediglich an ein paar Stellen ist ein Licht am Ende des Tunnels sichtbar: In Tübingen oder auch in Rostock, wo der Bürgermeister Claus Ruhe Madsen unkonventionelle Wege geht. Dort wird die Luca-App flächendeckend eingesetzt, mit der Gastronomen oder Einzelhändler ihre Besucher mit einem sogenannten QR-Code in Empfang nehmen, den diese mit der App auf ihrem Handy scannen können. Im Fall eines positiven Tests werden die Daten direkt und verschlüsselt an die Gesundheitsämter übermittelt. Infektionsketten können so schneller erkannt und unterbrochen werden.

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Von der – freiwilligen – Weitergabe der Daten haben die Bürger einen konkreten Nutzen. Den bringt die Nutzung der Corona-Warn-App der Bundesregierung nicht. Sie warnt nicht mal zuverlässig vor möglichen Risikobegegnungen. Das zeigt ein Blick auf die Zahlen. Während am vergangenen Mittwoch bundesweit 22.657 Neuinfektionen gemeldet wurden, haben in der App gerade 3930 Personen ein positives Testergebnis gemeldet. Das heißt: Nur etwa 17,4 Prozent aller Infizierten an diesem Tag haben ihre Mitmenschen auf diesem Weg gewarnt. Und das, obwohl die App inzwischen mehr als 27 Millionen Mal heruntergeladen wurde. Das bedeutet: Rund ein Drittel der Infizierten müsste eigentlich via App warnen. Tun sie aber nicht. Nur knapp die Hälfte der infizierten Nutzer meldet per App ein positives Testergebnis.

Als noch ärgerlicher als die weitgehend nutzlose Warn-App entpuppt sich die quälend langsame Impfkampagne. Es gibt einfach nicht genügend Impfstoff, und es sieht auch nicht so aus, als ob sich das schnell ändern würde. Dafür allein die EU-Kommission verantwortlich zu machen, wäre zu billig. Niemand hätte die Bundesregierung davon abgehalten, zusätzlich für den Eigenbedarf einzukaufen. Ungarn handelt so und liegt mit einer Impfquote von 17 Prozent deutlich vor Deutschland.

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Dabei saß der Bund früh an der Quelle: Im September 2020 wurde Biontech mit 375 Millionen Euro zur Entwicklung eines Impfstoffs vom Bundesforschungsministerium gefördert. Dafür hätte man sich ein paar Döschen sichern können. Doch eine Koppelung der Mittel an eine Lieferzusage war – aus vergaberechtlichen Gründen – nicht möglich. Stattdessen hat die Bundesrepublik den Impf­erfolg der USA, Israels und Großbritanniens vorfinanziert. So viel internationale Impf-Solidarität muss man sich leisten können. Und wollen.

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