Wichtige gesellschaftspolitische Entscheidungen fallen längst nicht mehr allein am Kabinettstisch, auf Parteitagen oder in Koalitionsverhandlungen. Zunehmend erweisen sich Tarifverhandlungen als Schrittmacher. Während Union und SPD in Berlin noch um sachgrundlos befristete Arbeitsverträge oder eine Bürgerversicherung ringen, wurde im Pilotbezirk Baden-Württemberg für die Metallindustrie einen Abschluss ausgehandelt, der fast so komplex ist wie ein Koalitionsvertrag.
Das schadet aber nicht. Das ebenso flexible wie fortschrittliche Vertragswerk passt zu einer Arbeitswelt, die eben auch immer vielgestaltiger wird. Das gilt für die Erfordernisse der Unternehmen ebenso wie für die Lebensentwürfe der Arbeitnehmer. Dem einen ist der Zweitwagen und der Dritturlaub im Jahr am wichtigsten – dem anderen, möglichst viel Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Und diese Prioritäten können sich auch noch ändern im Lauf der Berufsjahre.
Das volle Rückkehrrecht für sämtliche Arbeitnehmer von Teilzeit in Vollzeit erfüllt eine zentrale SPD-Forderung in einem Bundesland, in dem diese Partei keine 13 Prozent mehr hat. Die Tarifparteien haben sich von den Fronten der politischen Parteien emanzipiert. Zum Wohle aller, denn der detaillierte Vertrag beinhaltet auch eine wichtige Lockerung für die Unternehmen bei der übertariflichen Arbeitszeit. In Stuttgart hatten Pragmatiker am Ende vor allem die gemeinsamen Interessen im Blick. Das Tarifsystem lebt – auch als effektives Vorbild für die Politik.