Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Missbrauchsgutachten des Erzbistums Köln Woelki entlastet, Heße bietet Rücktritt an

Ein Jahr lang hat der Kölner Kardinal Woelki ein Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsvorwürfen zurückgehalten. Nun wurde eine neue Untersuchung vorgestellt. Unmittelbar danach gab es personelle Konsequenzen.
19.03.2021, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Benjamin Lassiwe

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wird entlastet, der Hamburger Erzbischof Stefan Heße und Woelkis verstorbener Vorgänger, der frühere Erzbischof von Berlin, Joachim Meisner, werden dagegen schwer belastet. Heße und der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp boten deswegen am Donnerstag dem Papst ihren Rücktritt an. Das ist das Fazit eines im Auftrag des Kölner Erzbistums entstandenen Gutachtens zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, das am Donnerstag in Köln der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Konflikt über Veröffentlichung des ersten Gutachtens

Das 800 Seiten umfassende Gutachten war im Oktober von Woelki in Auftrag gegeben worden. Zuvor hatte es einen Konflikt um die Veröffentlichung eines Gutachtens der Münchner Kanzlei „Westpfahl/Spilker/Wastl“ gegeben: Unter anderem soll der Hamburger Erzbischof Stefan Heße mit rechtlichen Schritten gegen dessen Veröffentlichung gedroht haben. Heße, der vor seiner Tätigkeit in Hamburg Generalvikar in Köln war, zählt auch zu den Würdenträgern, die im Gutachten am meisten belastet wurden: Von 75 festgestellten Pflichtverstößen entfielen elf auf ihn, darunter auch Verstöße gegen die Pflicht zur Aufklärung oder zum ordnungsgemäßen Melden von Missbrauchsvorwürfen.

Heße selbst erklärte, er habe sich selbst nicht an Vertuschung beteiligt. „In den verschiedenen Verantwortlichkeiten habe ich immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt“, betonte er. Die Studie lege ihm jedoch nun einen Spiegel seines damaligen Handelns vor. „Erst recht mit dem Blick von heute werden mir damalige Fehler bewusst“, sagte Heße. „An den Feststellungen der Studie kann und will ich nicht vorbei.“ Er sei vielmehr überzeugt, dass die Übernahme von Verantwortung Teil der Aufgabe sei, um dieses dunkle Kapitel bestmöglich zu bearbeiten. „Ich will die Konsequenzen aus meinem damaligen Handeln und den mir zur Last gelegten Pflichtverletzungen ziehen.“ Er habe daher Papst Franziskus gebeten, seinen Rücktritt anzunehmen und ihn von seinen Aufgaben als Erzbischof von Hamburg zu entbinden.

Vorwürfe gegen Ex-Kardinal Meisner

Ins Zwielicht rückte das Gutachten auch den früheren Kölner Kardinal Joachim Meisner: Dem 2017 verstorbenen Theologen werden 24 Fälle zur Last gelegt. In einem Aktenordner mit der Bezeichnung „Brüder im Nebel“ soll er zudem Vorwürfe gegen Priester gesammelt haben, die so nicht im allgemeinen Archiv des Bistums auffindbar waren.

Keine nachweisbaren Pflichtverletzungen haben die Gutachter dagegen im Fall des heutigen Amtsinhabers Kardinal Woelki gefunden. Dennoch fiel das Fazit der Gutachter für das Kölner Erzbistum vernichtend aus.„Wir sind auf ein System der Unzuständigkeit, der fehlenden Rechtsklarheit, der fehlenden Kontrollmöglichkeiten und der Intransparenz gestoßen, das Geheimhaltung jedenfalls begünstigte und an dem viele Beteiligte mitwirkten, auch außerhalb des Erzbistums Köln“, sagte der Strafrechtler Björn Gercke, der zusammen mit seiner Kollegin Kerstin Stirner das Gutachten erstellt hatte. Man könne zwar nicht von „systematischer Vertuschung“ durch Verantwortungsträger des Erzbistums Köln sprechen, wohl aber von „systembedingter oder systeminhärenter Vertuschung“. Den Amtsträgern des Erzbistums attestierte Gercke „massive Rechtsunkenntnisse“, zudem sei die Aktenführung des Erzbistums mangelhaft gewesen. Eine strafrechtliche Relevanz im Sinne des weltlichen Strafrechts allerdings hätten die Gutachter nicht feststellen können.

Entsetzen bei Missbrauchsbeauftragtem

Woelki zeigte sich in einer ersten Reaktion betroffen über die Ergebnisse des Gutachtens. „Geistliche haben sich schuldig gemacht, indem sie ihnen anvertrauten Menschen Gewalt zugefügt haben“, sagte Woelki. „Und das in vielen Fällen ohne dafür bestraft zu werden und – umso schlimmer – ohne dass die von dieser Gewalt Betroffenen ernst genommen und geschützt wurden: Das ist Vertuschung.“

Der Sprecher des Katholischen Gemeindeverbands Bremen, Christof Haverkamp, betonte, dass die Aufarbeitung der Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche im Interesse der Betroffenen weitergehen müsse. „Von den Haupt- und Ehrenamtlichen im Katholischen Gemeindeverband in Bremen wird dies aufmerksam verfolgt; konkrete Auswirkungen auf das Leben in den Kirchengemeinden der Hansestadt gibt es aktuell jedoch nicht.“ Auch der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, zeigte sich entsetzt. „Das auf der Basis der Aktenlage von den Gutachtern gezeichnete Ausmaß des Missbrauchs und der Pflichtverletzungen kirchlicher Verantwortungsträger ist erschreckend“, sagte Rörig.

Ganz anders äußerten sich am Donnerstag indes Betroffenenvertreter:„Dank der Arbeit der Anwälte haben wir einen Blick in den Abgrund eines Systems von Missbrauch und Gewalt in Köln werfen können“, sagte der Vorsitzende des Eckigen Tischs der Missbrauchsbetroffenen am Berliner Canisius-Kolleg, Matthias Katsch. „Kardinal Woelki war Teil des Systems, das mindestens seit der Amtsübernahme durch Joachim Meisner hier gewachsen ist und zur dem auch die Bischöfe Heße und Schwaderlapp gehören.“ Insofern stelle sich auch die Frage nach der moralischen Verantwortung Woelkis. „Sie ist heute nicht beantwortet worden.“

Info

Zur Sache

Protestanten: Noch kein Gutachten in Sicht

Während das Erzbistum Köln sein Missbrauchsgutachten vorstellte, ist in der evangelischen Kirche ein vergleichbares Gutachten noch nicht in Sicht. Darauf machte das Mitglied des Betroffenrats beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, die Fernsehjournalistin Kerstin Claus, am Donnerstag aufmerksam. „Die evangelische Kirche kann keine Gutachten zurückhalten, weil sie bis heute keine in Auftrag gegeben hat“, sagte Claus. Allein aus dem eigenen Erleben könne sie sagen, „dass Pflichtverletzungen von Amtspflichten bis heute nicht systematisch erfasst und erst recht nicht benannt oder gar geahndet wurden.“ Die evangelische Kirche habe bis heute nicht damit begonnen, über Amtspflichtverletzungen auch nur nachzudenken. „Die spezifische Struktur der Landeskirchen müsste hier einen Fokus beginnend auf die Gemeinden über die Dekanate und schließlich der Landeskirchen selbst legen“, forderte Claus gegenüber dem WESER-KURIER. „Hinzu kämen spezifische Standards für den Bereich der Diakonie und der nicht verfassten Jugendarbeit.“

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)