Berlin. Wer immer aus dem diplomatischen Dienst es war, der den internen Lagebericht aus Libyen heimlich der Presse zugespielt hat: Man muss den Schritt als Hilfeschrei verstehen. Dessen Echo erreichte am Montag auch die Bundesregierung – ehe am Freitag auch die Staats- und Regierungschef der EU bei ihrem Treffen in Malta über die Flüchtlingskrise in Nordafrika sprechen.
Obwohl schon länger bekannt ist, dass in den Flüchtlingslagern des nordafrikanischen Krisenlandes menschenunwürdige Zustände herrschen, gelingt es Europa und den Nachbarn in der Region nicht, Abhilfe zu schaffen. Stattdessen verhandelt die EU über einen Migrationspakt nach europäisch-türkischem Vorbild mit der labilen libyschen Einheitsregierung, wie Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn vorletzte Woche erneut bestätigte. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wirbt für zentrale Flüchtlingslager in Nordafrika.
Nicht nur Oppositionspolitiker warnen jedoch, ein solcher Deal mit dem Ziel einfacherer Abschiebungen von Migranten zurück nach Libyen sende Hunderte in Folter und Tod. Auch Deutsche im diplomatischen Dienst fürchten das offenbar – und spielten aus Verärgerung den Report der Presse zu: in drastischen Worten, unter dem Briefkopf des Auswärtigen Amtes. Es komme zu „allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen“, meldeten da Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Nigers Hauptstadt Niamey an das Bundeskanzleramt und mehrere Ministerien. Es gehe um systematische „Exekutionen, Folter und Vergewaltigungen“. Die „Welt am Sonntag“ (WamS) zitierte aus dem Schreiben: „Authentische Handy-Fotos und -videos belegen die KZ-ähnlichen Verhältnisse in den sogenannten Privatgefängnissen.“
Der Sprecher des Außenministeriums, Martin Schäfer, wollte den Bericht und dessen Existenz am Montag weder bestätigen noch dementieren. In der Sache seien die Beschreibungen freilich richtig. Die Berichte über die schlimmen Zustände und unwürdige Behandlungen von Flüchtlingen in Libyen sei ja leider bekannt, so Schäfer. Die Bundesregierung bemühe sich ernsthaft um eine Stabilisierung des Landes und eine Bekämpfung der Fluchtursachen in Afrika. Schäfer bestätigte, dass vor allem die Privatgefängnisse ein großes Problem seien, Schlepper ausreisewillige Migranten gefangen halten. In der amtlichen Depesche heißt es dazu laut WamS: „Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung.“ Es werden Augenzeugen zitiert, die von exakt fünf Erschießungen wöchentlich in einem Gefängnis sprachen – mit Ankündigung und jeweils freitags: damit Neuankömmlinge Platz hätten und die Lagerbetreiber ihre Einnahmen erhöhen.
Die Grünen im EU-Parlament verlangten angesichts der Berichte einen Verhandlungsstopp des Flüchtlingsdeals. „Wenn die Bundesregierung davon Kenntnis hat, dann muss sie mit aller Macht dafür eintreten, dass ein neues Abkommen mit Libyen nicht zustande kommt“, sagte Fraktionschefin Ska Keller. Man dürfe Menschen nicht in eine so katastrophale Lage zurückschicken.