Berlin. Wüsste man nicht , dass aktuell eine Koalition aus Union und SPD das Land regiert, könnte man daran Zweifel hegen. Noch vor der Regierungserklärung des CDU-Gesundheitsministers zur Impfpolitik am Mittwochmittag nämlich hat sich der Vizekanzler von der SPD zu Wort gemeldet. Er werde, sagte Olaf Scholz im ZDF, genau prüfen, ob Jens Spahn den umfassenden Fragenkatalog der SPD-regierten Länder zur Impfstoffbeschaffung ausreichend beantworten könne. Der Vorgang ist insofern bemerkenswert, als Scholz ja mit an jenem Kabinettstisch sitzt, an dem die Impfpolitik der Bundesregierung abgestimmt und beschlossen wird. Aber nun ja, es ist Wahljahr, und Scholz traut sich das Kanzleramt zu.
Um 13 Uhr dann ist es soweit. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nimmt seine FFP2-Maske ab und tritt im Parlament ans Rednerpult. Tatsächlich steht die Frage im Raum, wie Impfstoff nicht nur beschafft werden kann, sondern wie er gerecht verteilt und wie die Bereitschaft zum Impfen erhöht werden soll. „Seit einem Jahr kämpft die Welt gegen dieses Virus“, wirbt Spahn für Verständnis, „nie war jede Entscheidung für so viele Menschen so folgenreich.“
„Schwere Phase“ der Pandemie
Er spricht von einer „Zeit der Gegensätze“, in der sich das Land befinde. Deutschland erlebe derzeit eine der schwersten Phasen der Pandemie – jedoch auch Hoffnung. „Wir müssen die immer noch zu hohen Infektions- und Todeszahlen senken.“ Das sei eine bittere Medizin. Bislang seien hierzulande mehr als eine Dreiviertelmillion Menschen geimpft worden. Erneut verteidigt er das europäische Vorgehen bei der Beschaffung des Impfstoffs. Europa dürfe „nicht nur in Sonntagsreden“ beschworen werden.
Anders als bei anderen viel beachteten großen Debatten der zurückliegenden Monate schafft Spahn es, das Plenum zum Zuhören zu bewegen. Er sagt voraus, dass der derzeitige Streit über Abläufe schon bald von der Diskussion über die Impfbereitschaft abgelöst wird. Sein Appell ist eindringlich: „Wir müssen da jetzt gemeinsam durch.“ Von der SPD erwidert die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bärbel Bas. Anders als viele meinen, ist nämlich sie und nicht Karl Lauterbach die Gesundheitsexpertin im Bundestag. Bas verteidigt die Angriffe der Sozialdemokraten auf den CDU-Minister. „Die Fragen, die wir gestellt haben, sind keine Majestätsbeleidigung.“ Für die Menschen sei wichtig, ob der Impfstart ein Erfolg werde, danach dürfe durchaus gefragt werden. „Das ist kein Wahlkampfgetöse, das ist ein elementarer Bereich.“
Sie kritisiert das Impfmanagement, sie fordert Veränderungen bei der Logistik und bei der Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger. Hart ins Gericht geht sie mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Der CSU-Politiker hatte vorgeschlagen, für Angehörige bestimmter Pflegeberufe eine Impfpflicht zu prüfen. Es sei „katastrophal, eine ganze Gruppe unter Generalverdacht zu stellen“. Den Vorwurf ihres Genossen Scholz, Spahn gebe keine Antworten auf offene Fragen, wiederholt sie hingegen nicht.
Die Bremer Obfrau im Gesundheitsausschuss, Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), hat die Debatte im Plenum verfolgt. Sie kritisiert gegenüber dem WESER-KURIER, dass der Bundesgesundheitsminister nicht vor dem Impfstart Klarheit geschaffen hat. Er hätte den Rahmen für die Priorisierung der Impfgruppen mit einem Gesetz regeln sollen, um die rechtliche Grundlage und die Akzeptanz zu sichern.
In der Frage der europäischen Vorgehensweise stimmt Kappert-Gonther Spahn zu. „Der gründliche europäische Zulassungsprozess und die gemeinsame Bestellung der Impfstoffe sind der richtige Weg.“ Transparenz und ehrliche Informationen seien unerlässlich, damit die Impfbereitschaft hoch bleibt. Auch sie fände eine Impfpflicht „falsch und kontraproduktiv. Mit der Impfung sind große Hoffnungen verbunden, die erst langfristig erfüllt werden können. Auf dem Weg dahin werden wir alle noch viel Geduld und Disziplin brauchen.“ Wie ihre Fraktionsvorsitzende Katrin Göring Eckhardt fordert auch die Grüne Obfrau ein Recht auf Homeoffice.