Als der von den Nationalsozialisten losgetretene Zweite Weltkrieg vorbei war, überall in Deutschland Hunger, Chaos und Verzweiflung herrschten und Millionen Flüchtlinge und Vertriebene über die Straßen irrten, hatte der britische Oberstleutnant Perkins im September 1945 die Viehställe eines Versuchsgutes der Universität Göttingen beschlagnahmen lassen, um ein provisorisches Auffanglager zu errichten.
Der Ort lag strategisch günstig, drei Besatzungszonen stießen hier aneinander, es gab eine nicht zerstörte Straße und eben einen Bahnhof. Friedland wurde quasi über Nacht zum Anlaufpunkt für Hunderttausende. Schon bis Ende 1945 kamen eine halbe Million Menschen – vor allem Vertriebene aus den ehemaligen Reichsgebieten östlich von Oder und Neiße sowie entlassene Kriegsgefangene. Als erste Behelfsunterkünfte dienten Schweine- und Pferdeställe. Später stellte man Armeezelte auf, errichtete Baracken und Wellblechhütten.
Schwierige Versorgungslage
Die Versorgung der Neuankömmlinge in den ersten Nachkriegswintern war schwierig. Frauen und Kinder drängten sich bei eisiger Kälte in den Hütten zusammen. Teilweise nur mit Fetzen bekleidet liefen die Männer bei Temperaturen von bis zu 20 Grad minus im Freien herum, um nicht zu erfrieren. 66 Menschen, unter ihnen zehn Kinder, starben dennoch. Besser wurde es durch den Einsatz der Hilfswerke. Das Deutsche Rote Kreuz und die Arbeiterwohlfahrt, die evangelische Innere Mission und der katholische Caritas-Verband richten bis 1948 Büros und Kleiderkammern im Lager ein.
Auf dem Spielplatz des Grenzdurchgangslagers herrscht an diesem Morgen nur mäßiger Betrieb. Zwei arabisch aussehende Jungen schaukeln, oben auf der Rutsche hockt, etwas verschüchtert, ein kleines Mädchen. Das Klettergerüst ist kaum belegt. Ein paar Frauen in langen Kleidern und mit Kopftüchern plaudern in der Sonne vor dem Eingang zum Speisesaal.
Vor der katholischen Lagerkirche tritt der „Heimkehrer“ mit kräftigem Schritt den Stacheldraht nieder: ein Denkmal aus Muschelkalk, vier Meter hoch, Symbol und Mythos. Ein paar Schritte weiter, auf einem Gestell, steht die 700 Kilogramm schwere „Friedlandglocke“. Viele Tausend mal hat sie geschlagen – immer dann, wenn entlassene Kriegsgefangene und -heimkehrer in Friedland eintrafen. Der Klang der Glocke wurde vom Radio ausgestrahlt „bis in die Weiten der russischen Gefangenenlager“, wie es in einer Lagerchronik heißt.
1955 handelte Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) in Moskau die Freilassung der letzten rund 10.000 deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion aus. Die meisten kehrten über Friedland zu ihren Familien zurück. Im 2016 gleich neben dem Lager eröffneten Museum Friedland zeigen alte Fotos die ausgemergelten Gesichter und Körper der Entlassenen. In Vitrinen sind in sowjetischen Gefangenenlagern gebastelte Gebrauchsgegenstände ausgestellt – Zigarettendosen aus Blech oder aus Holz geschnitzte Schachspiele.
Die „Spätheimkehrer“ wurden damals zumeist als Opfer verklärt, die „russisches Unrecht“ heldenhaft überstanden hätten. Nach den Taten einzelner Entlassener wurde zunächst kaum gefragt. Dabei waren Kriegsverbrecher unter ihnen: Parteigrößen der NSDAP, KZ-Ärzte, -Blockführer und Wachleute sowie Einsatzgruppenleiter, die für die Ermordung der jüdischen Bevölkerung im östlichen Europa unmittelbar Verantwortung trugen. Täter und Taten wurden von den Inszenierungen um die „Heimkehr der Zehntausend“, die in Friedland das „Tor zur Freiheit“ durchschritten hatten, weitgehend überdeckt.
Später fanden auch Flüchtlinge aus vielen Ländern Aufnahme in Friedland. Rund 3000 Ungarn, die nach dem gescheiterten Aufstand ihr Land verlassen hatten, erreichten das Lager 1956. In den 1970er-Jahren kamen verfolgte Pinochet-Gegner aus Chile, später „boat people“ aus Vietnam und Geflüchtete aus Albanien.
Seit 2011 Erstaufnahmeeinrichtung
Heute ist das Grenzdurchgangslager Friedland die einzige Anlaufstelle für Spätaussiedler aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. 2011 wurde Friedland eine der Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Niedersachsen für Asylsuchende. Außerdem nimmt das Lager Flüchtlinge aus humanitären Aufnahmeprogrammen auf. Auch ist der Standort für die Aufnahme der dem Land Niedersachsen zugewiesenen jüdischen Zuwanderer zuständig.
2015 und 2016, als Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, war das für 700 Personen ausgelegte Lager zeitweise dreifach überbelegt. Am Mittwoch dieser Woche waren insgesamt 681 Personen in Friedland untergebracht, wie die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen auf Anfrage mitteilte - 127 Vertriebene aus der Ukraine, 354 Asylsuchende sowie 153 Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler und 47 Personen aus humanitären Aufnahmeprogrammen.
Alle Ankommenden – bis heute insgesamt rund 4,5 Millionen Menschen – bleiben nur einige Tage im Lager, dann werden sie auf andere Gemeinden verteilt. Die erwachsenen Bewohner des Lagers haben die Möglichkeit, an „Wegweiserkursen“ teilzunehmen, während die Kinder und Jugendlichen auf freiwilliger Basis auf den Besuch der Regelschule vorbereitet werden. Diese Angebote werden nach Angaben der Landesaufnahmebehörde „außerordentlich gern angenommen“.