Der Sturz des Assad-Regimes in Syrien und die Flucht des Diktators Baschar al-Assad am 8. Dezember 2024 nach Moskau machten insbesondere den Zivilisten des gebeutelten Landes und auch im Ausland lebenden Syriern Hoffnung auf lang ersehnten Frieden, darunter der gebürtige Syrer Nizar Ala Rashi aus Delmenhorst.
Die Übergangsregierung im vorderasiatischen Staat obliegt zurzeit Ahmed al-Scharaa. Doch Frieden will nach einem seit 2011 tobenden, erschütternden Bürgerkrieg immer noch nicht einkehren: Medienberichten zufolge sollen islamistische Kämpfer am 6. März ein Massaker an Hunderten Alawiten in den Küstengebieten im Nordwesten Syriens verübt haben. Bei dem gegen diese Minderheit gerichteten Massenmord kamen fast 1000 Zivilisten ums Leben. Die Konfession soll bei dem gezielten Angriff eine entscheidende Rolle gespielt haben.
"In eine Zelle gesperrt und blutig gefoltert"
Zurück zu Nizar Ala Rashi, der ebenfalls leidvolle, entsetzliche Erlebnisse mit seiner Heimat verbindet. Der Kurde wurde 1988 in Damaskus geboren. „Aus meiner Sicht handelte es sich nicht um einen Bürgerkrieg, sondern um eine Revolution. Damals war ich noch Student und habe in Damaskus Englisch und Literatur studiert.“ Mit einer Gruppe, die sich für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und damit gegen die Assad-Diktatur öffentlich starkmachte, habe er am 26. August 2011 an einem friedlichen, öffentlichen Protest teilgenommen. „Der Geheimdienst wusste von der Demonstration und hat uns sofort verhaftet. Ich wurde in Handschellen abgeführt“. Seine traumatisierende Leidensgeschichte begann. Der 36-Jährige erinnert sich an sein Martyrium: „Die haben mich in eine Zelle gesperrt und blutig gefoltert. Ich habe heute noch eine Narbe auf der Stirn. Die wollten wissen, was wir gemacht haben, mit wem wir Kontakt haben – die wollten alles wissen. Sie haben mir Dinge unterstellt, die ich gar nicht gemacht habe“. Anschließend begann seine tragische Odyssee, „vergleichbar mit Untersuchungshaft“ durch weitere fünf Haftanstalten des militärischen Geheimdienstes an unterschiedlichen Orten.
Rund dreieinhalb Monate dauerte dort die „kurze“ Haftzeit angesichts der noch folgenden. Davon verbrachte er eigenen Angaben zufolge einen Monat in Isolationshaft. Er musste vor das Militärgericht. „Danach saß ich drei Jahre und zweieinhalb Monate im Zivilgefängnis in Damaskus. Ich habe gedacht, ich muss sterben – vielen Verwandten und Bekannten ist das passiert. Viele Menschen waren nur noch Haut und Knochen“, berichtet Ala Rashi. Die Lage in Syrien habe sich damals weiter verschlechtert: „Ich wusste nicht, ob ich im Gefängnis sicherer bin als draußen. Ich wollte keinen töten und wollte auch nicht getötet werden.“ Die Angst saß dem jungen Mann ständig im Nacken: „Man war so machtlos – die können machen, was sie wollen, dachte ich.“ Er habe sich sehr einsam gefühlt, „Ich habe mit Kakerlaken gesprochen und aus Olivenkernen Figuren gestaltet, mit denen ich auch gesprochen habe.“ Seinem Vater gelang es schließlich das brutale, menschenverachtende System mit Geld zu bestechen. Nizar Ala Rashi kam frei.
Eines wusste er nun in Freiheit ganz genau, „Ich kann hier nicht bleiben – entweder werde ich zum Militär eingezogen oder wieder verhaftet. Ich muss nicht an einem Ort leben, wo Assad regiert“. In Begleitung seiner Mutter sei Ala Rashi zunächst in ein kurdisches Gebiet, in den Ort Afrin, geflohen. Während die Mutter nach Damaskus zurückkehrte, machte er sich zu Fuß auf den Weg in die Türkei. Von einem Grenzgebiet aus ging es per Bus nach Istanbul. Etwa sieben Monate verbrachte er dort. Schließlich sollte er für eine Menschenrechts-Organisation in Paris eine Zeugenaussage über Geschehnisse in seinem Land machen und flog deshalb in die Seine-Metropole. Der Flüchtling schildert: „Ich wollte in Paris Asyl beantragen, aber das ist dort sehr schwer. Nach rund 15 Tagen bin ich dann zu meinem Onkel nach Essen gereist. Ich habe in Gießen einen Asylantrag gestellt und die haben mich ins Grenzdurchgangslager Friedland geschickt. Dort war ich circa drei Monate und kam schließlich nach Delmenhorst.“
In Turnhalle gab es keine Privatsphäre
Zunächst wurde er mit zahlreichen weiteren männlichen Flüchtlingen ein viertel Jahr lang in der Turnhalle der Mosaik-Schule an der Lessingstraße untergebracht, „es gab keine Privatsphäre“. Nizar Ala Rashi besuchte etliche Deutschkurse, schloss mit dem Niveau C1 ab. Es folgte ein Umzug in die Delmetal-Kaserne an der Abernettistraße, wo er von Februar bis August 2016 mit maximal fünf weiteren Personen lebte. Zusammen mit seinem Bruder, der auf anderen Wegen geflüchtet war, erhielten sie zunächst eine Wohnung an der Düsternortstraße. Das Asylverfahren wurde im Oktober 2016 erfolgreich abgeschlossen, „Ab da konnte ich mich beim Job-Center anmelden und mir eine Wohnung suchen“. Ala Rashi absolvierte mehrere Maßnahmen und Praktika unter anderem beim Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft, der Arbeiterwohlfahrt sowie einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Zudem hatte er in Bremen ein Studium der Sozialen Arbeit aufgenommen.
Die Einbürgerung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgte schließlich am 3. November 2023, Ala Rashi erhielt einen deutschen Pass. Als er vom Sturz des Assad-Regimes erfuhr, musste er weinen: vor Freude. Für seinen kleinen Sohn Sulaiman und aus Rücksicht auf seine Frau Sibel Kan brach er das Studium ab, denn: „Die Belastung mit Studium, Familie und Arbeit war einfach zu viel.“ Bei einem Online-Riesen ist er mittlerweile zum Teamleiter aufgestiegen. Außerdem erwartet die kleine Familie weiteren Nachwuchs und ist darüber überglücklich.