Guter Rat ist teuer, nicht nur in Thüringen und Sachsen. Es geht nicht etwa nur um die Regierungsbildung, die alle künftigen Koalitionspartner vor Herausforderungen stellt, sondern auch um den Umgang mit der AfD und ihren Wählerinnen und Wählern. Eines haben die Landtagswahlen gezeigt: Die bisherige Strategie – eine Mischung aus Ratlosigkeit und ausdrücklicher Distanzierung mit leichter Tendenz zu Ignoranz und Arroganz – hat sich nicht bewährt.
Ebenso wenig nützt es offensichtlich, potenzielle AfD-Wähler durch Verunglimpfung abzuschrecken, sie zu belehren oder mit durchsichtigen Manövern umstimmen zu wollen. Dass sich die etablierten Parteien in den vergangenen Wochen mit plötzlichem Eifer der Migrationspolitik gewidmet haben, war so offensichtlich von den alarmierenden Umfrageergebnissen getrieben, dass es vielen Wählern offenbar wenig glaubwürdig erschien. Noch am Wahlsonntag sah sich selbst der Bundespräsident anlässlich der Gedenkveranstaltung für die Opfer in Solingen zur Forderung genötigt, dass „jede, wirklich jede Anstrengung“ unternommen werde, um irreguläre Zuwanderung zu begrenzen.
Dass die Unionsparteien diesen Kurs früher eingeschlagen haben, um sich von der Ampelregierung abzusetzen, hat sie ebenfalls nicht vor Wählerwanderungen weiter nach rechts bewahren können. „Der Wahlausgang in Sachsen und Thüringen schreit der Regierung von Kanzler Olaf Scholz ins Gesicht: Es ist die Migration, Dummkopf“, kommentiert Bernhard Kohler in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Der Wahlausgang müsse „allen Demokraten eine Warnung sein, wie schnell und nachhaltig politische Verhältnisse ins Wanken geraten können, wenn viele Bürger für grundfalsch halten, was eine Regierung entscheidet und macht.“ Eine Reform der Migrationspolitik ist unumgänglich. Dazu zählt vor allem das schonungslose Überprüfen der schönen Theorie anhand der harten Realität und deutlich mehr Bemühungen um echte Integration – und zwar von allen Seiten.
Auch die Bestrebungen, die rechtsextremen und antidemokratischen Positionen der Partei herauszustellen, hat sich – ausdrücklich: bei aller Berechtigung – als zwecklos herausgestellt. Das eine sind die Funktionärinnen und Funktionäre der AfD, die gezielt Ängste schüren und Vorurteile nähren, die Halbwahrheiten verbreiten und Fakten verdrehen. Dem muss man sich inhaltlich stellen, um unermüdlich richtigzustellen.
Das andere aber sind Bürgerinnen und Bürger, die ihnen einmalig, erstmalig oder gar ständig ihre Stimme geben, weil sie sich politisch anderswo derzeit oder dauerhaft nicht ernst genommen fühlen. In Thüringen und Sachsen war das bekanntlich beinahe ein Drittel der Wähler. Mit ihnen wird man sich auseinandersetzen, ihnen wird man zuhören und ihnen tatsächlich entgegenkommen müssen, wenn man sie nicht ganz und gar verlieren will.
Dass sich die Parteien links von der AfD zusammentun, um in Thüringen ohne die stärkste Fraktion zu regieren, ist alternativlos und kein Skandal. Das haben Sozialdemokraten, Grüne und Linke ganz ohne Zutun eines Rechtsauslegers bekanntlich auch schon in Bremen geschafft. Das berechtigt aber noch lange nicht dazu, den Wählerwillen komplett zu ignorieren. Schon gar nicht, wenn man vor, während und nach der Wahl stets und ständig betont, im Gegensatz zur AfD zu den demokratischen Parteien zu zählen.
Bislang haben die Volksparteien gegen die AfD nicht viel mehr als entschiedene Abgrenzung zustande gebracht und eine insbesondere wegen des Zeitpunkts eher peinliche Debatte um ein Verbot. Darum hätte man sich, wenn überhaupt, bemühen müssen, als die AfD noch ein politischer Zwerg war. Inzwischen wirkt das Ringen um ein Verbot wie eine Verzweiflungstat, um sich eine (für die Demokratie und sich selbst) so gefährliche wie lästige Konkurrenz vom Hals zu schaffen, weil man nicht anders mit ihr umzugehen weiß.
Letzteres ist die bittere Wahrheit, nach zehn Jahren AfD im Europäischen Parlament, in Landtagen und im Bundestag. Viel früher hätte man sich ernsthafter mit der Partei und vor allem den Wählern befassen müssen – 2019 erhielt die AfD in Thüringen fast ein Viertel der Stimmen, in Sachsen fast 28 Prozent. Wenn den Parteien links von der AfD weiterhin nicht viel mehr einfällt als offensichtliche Ablehnung, muss man damit rechnen, in fünf Jahren, vielleicht schon bei der Bundestagswahl 2025 sein blaues Wunder zu erleben.