Die Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft, Antje Grotheer, ist aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew zurückgekehrt. Am Donnerstag und Freitag hatte die SPD-Politikerin im Auftrag des Europäischen Ausschusses der Regionen an einer Konferenz teilgenommen, auf der über die mögliche zukünftige Organisation des Landes debattiert wurde. Zeitgleich fanden allerdings auch die schlimmsten Angriffe auf die ukrainische Hauptstadt seit Langem mit Raketen und Drohnen statt. "Wir sind morgens pünktlich um 6.59 Uhr mit dem abgedunkelten Nachtzug aus Polen angekommen, am Nachmittag hatten wir schon den ersten Luftalarm im Hotel", schildert die Bürgerschaftspräsidentin, die sich mit anderen Teilnehmern der Tagung in den Schutzraum in der Tiefgarage des Hotels zurückziehen musste.
Dort hat Grotheer selbst wenig von dem Angriff mitbekommen, aber am nächsten Vormittag die Zerstörungen aus nächster Nähe betrachten können. Mitten in einem Wohngebiet hatten Drohnen ein Gebäude getroffen. "Das war ganz eindeutig kein militärisches Ziel, also ein Kriegsverbrechen", sagt die 58-Jährige, die beeindruckt war von der Gelassenheit, mit er sich die ukrainische Bevölkerung nach dem Angriff an die Aufräumarbeiten gemacht haben." Die Leute fegen einfach die Scherben zusammen, kümmern sich um neue Fenster oder Autoscheiben und machen dann einfach weiter", sagt Grotheer, die auch den Wiederaufbau eines ehemals zerstörten Wohnblocks mit Schule im Stadtteil Borodiaka in Augenschein nahm.
Besuch in Butscha
Auf dem Programm standen außerdem Besuche in der Sofienkathedrale und in Butscha. Die Kleinstadt bei Kiew wurde kurz nach Beginn des Krieges zum Schauplatz eines fürchterlichen Massakers von russischen Truppen an der Zivilbevölkerung. 458 Menschen verloren dort binnen weniger Tage ihr Leben. Zudem besuchte Grotheer auch die "Hexen von Butscha", eine Luftverteidigungseinheit, die aus Frauen besteht, die im Hinterland mit Maschinenpistolen, die auf Geländewagen montiert sind, Drohnen abschießen. "Sie gehören zwar nicht der Armee an, sind aber ein fester Bestandteil der Zivilverteidigung und als solcher erstaunlich effektiv", so die Politikerin.
Über die Frage, welchen Beitrag jede Bürgerin und jeder Bürger künftig in Deutschland für die Landesverteidigung leisten könne und wolle, müsse man noch reden. "Ich weiß, dass das sehr kontrovers diskutiert wird", sagt Grotheer, "aber ich glaube, wir müssen uns Gedanken machen und diese Debatte führen."
"Regionale Ansprechpartner erforderlich"
Der eigentliche Zweck der Konferenz, die vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eröffnet wurde, war die Frage, wie sich die Ukraine künftig organisieren solle. „Derzeit ist die Ukraine noch sehr zentralistisch organisiert", schildert die Bürgerschaftspräsidentin. Von Kiew aus erfolge der Zugriff auf die Oblasten, die vergleichbar mit Landkreisen in Deutschland sind. „Für die europäische Zusammenarbeit ist es aber erforderlich, regionale Ansprechpartner zu haben“, sagt Grotheer, "denn die Fördermittel werden nicht zentral vergeben.“ Daher sei es wichtig, dass die Ukraine nun Strukturen schaffe, die eine gezielte Regionalförderung durch die Europäische Union möglich mache.