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Missbrauchsfälle bei der EKD Die Kirche muss endlich Nägel mit Köpfen machen

Die Evangelische Kirche in Deutschland steht unter Druck: Betroffene und Vertreter kritisieren die zögerliche Aufarbeitung von Missbrauchsfällen. Ein Kulturwandel ist unerlässlich, meint Benjamin Lassiwe.
11.11.2024, 20:21 Uhr
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Von Benjamin Lassiwe

"Die evangelische Kirche hat ein Problem“, sagt Detlev Zander. „Ein Problem mit sexualisierter Gewalt“. Die Worte des Betroffenenvertreters aus dem Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), in dem Betroffenenvertreter und Kirchenleute gemeinsam über die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche beraten wollen, lassen nichts an Deutlichkeit verlieren. In Würzburg, bei der Synode der EKD, wo eigentlich Konsequenzen aus der im Januar veröffentlichten ForuM-Studie zum Missbrauch in der Kirche gezogen werden sollten, wird deutlich: Es läuft noch längst nicht alles rund im deutschen Protestantismus.

Zwar sind es wichtige Schritte, dass die EKD ihr Disziplinargesetz ändert und einen Maßnahmenplan gegen den Missbrauch beschließen will. Zwar ist es ein ebenso wichtiger Schritt, dass Betroffene neben der jeweils individuellen Entschädigungsleistung einen Pauschalbetrag erhalten sollen, wenn es sich bei der Tat um Vorwürfe handelte, die irgendwann einmal strafrechtlich relevant waren.

Aber entscheidend war, was zwischen den Zeilen zu hören war: Die Vertreter des Beteiligungsforums beklagten überdeutlich den fehlenden Kulturwandel in der Kirche. Noch immer dauern Verfahren lange. Noch immer fühlen sich Betroffene nicht ernst genommen. Noch immer wird nicht das gemacht, was theoretisch möglich wäre.

14 Jahre nach den ersten Missbrauchsvorwürfen am katholischen Berliner Canisius-Kolleg ist das, mit Verlaub, ein Armutszeugnis für die EKD. Deutlicher noch wurde es, als eine Anwältin des Publikums die Stimmen von Betroffenen in die Synode einbrachte, die nicht Teil der EKD-Gremien sind. Ehemalige Heimkinder fürchten, den Tag ihrer Entschädigung schon aus Altersgründen nicht mehr zu erleben. Betroffene berichten, dass sie Angst davor haben, eines Tages in ein Altersheim zu müssen, weil sie sich auch dort wieder machtlos fühlen könnten.

Gegen zwei prominente Bischöfinnen, die amtierende Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs und die Leitende Bischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, wurden sogar Vorwürfe laut, mit einem Missbrauchsfall nicht richtig umgegangen zu sein. Vor einem Jahr in Ulm führte das bekanntlich zum Rücktritt der damaligen Ratsvorsitzenden Annette Kurschus. Sofort wurden Erinnerungen daran im Saal laut – droht der EKD etwa der zweite Verlust einer Ratsvorsitzenden binnen eines Jahres?

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Klar ist: Der Evangelischen Kirche läuft die Zeit davon. Es ist richtig, die Protestanten sind auf einem guten Weg. Und es ist richtig, dass Missbrauchsaufarbeitung Zeit benötigt. Aber Glaubwürdigkeit kann auch schnell verloren gehen, speziell, wenn der Eindruck entsteht, Dinge würden künstlich verzögert, vertuscht oder unter dem Tisch gehalten. Und die Kirche befindet – das zeigen die Mitgliederzahlen und die Entwicklung der Kirchensteuer – genau in diesem Sturzflug. Eindrücke, wie sie die Vertreter der Betroffenen in Würzburg kommuniziert haben, dürfen künftig nicht mehr entstehen.

Eine Kirche, die auf den Markenkern von Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit setzt, die sich selbst an der Seite von Menschen am Rande der Gesellschaft sieht, kann sich ein derartiges Herumgeeiere nicht leisten. Sie muss Nägel mit Köpfen machen, energisch vorangehen und deutschlandweit zum Vorreiter in der Aufarbeitung werden.

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