Wenn an diesem Mittwoch (5. Juni) die Synode der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers in Loccum zusammenkommt, wird es das Gesprächsthema auf den Fluren und an den Kaffeeständen der Synodalen sein: Ein von mittlerweile 226 Pastorinnen und Pastoren, Diakonen und Ehrenamtlichen unterschriebener Brief an die Kirchenleitung, in dem harsche Kritik am Umgang der Landeskirche mit der im Januar vorgestellten „ForuM“-Studie zum sexuellen Missbrauch in der Evangelischen Kirche geübt wird.
Die Vorwürfe, die in dem Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt, Landesbischof Ralf Meister, den Mitgliedern des Bischofsrats und des Kollegiums des Landeskirchenamts gemacht werden, sind hart. „Das Verhalten kirchenleitender Verantwortlicher hat unser Vertrauen in die Kirchenleitung beschädigt“, heißt es dort. Die Kirche müsse sensibel für Grenzverletzungen und Machtmissbrauch werden und Kräfte für eine entsprechende Transformation mobilisieren. „Dafür muss sie selbstkritisch mit den Ergebnissen der Studien umgehen.“ Die Aufgabe, den Missbrauch aufzuarbeiten und aufzuklären, liege bei der Kirche und müsse „proaktiv und klar“ übernommen werden. Nötig seien mehr Transparenz und offene Diskussionen auf allen Ebenen der Landeskirche. „Wir fordern einen synodalen Ausschuss unter Beteiligug Betroffener, der alle Aktivitäten im Bereich Aufarbeitung, Aufklärung und Prävention begleitet und die Umsetzung der Beschlüsse aus dem EKD-Beteiligungsforum vorbereitet“, heißt es in dem Schreiben. „Wir fordern, dass die Synode Mittel für die Anerkennungsleistungen für die Betroffenen in den Haushalt einstellt.“
Großer Vertrauensverlust
„Wir erleben einen großen Vertrauensverlust in die Kirchenleitung“, sagt die zu den Erstunterzeichnern des Briefes zählende Landespastorin für Frauenarbeit, Susanne Paul, gegenüber dieser Zeitung. In der Landeskirche sei bislang zu wenig geschehen, und an manchen Stellen auch nicht das Richtige. In den vergangenen Jahren war die Hannoversche Landeskirche von mehreren großen Missbrauchsskandalen erschüttert worden. Für besonderes Aufsehen sorgte ein Fall in der Kirchengemeinde Georgsmarienhütte-Oesede. Einer im März vorgestellten Studie zufolge habe die Landeskirche in den 1970er-Jahren Missbrauchsfälle in der Gemeinde vertuscht. Als sich eine Betroffene, die unter dem Pseudonym Lisa Meyer bekannt ist, 2010 bei der Landeskirche meldete, seien ebenfalls zahlreiche Fehler gemacht worden. Meyer hatte im März Landesbischof Meister zum Rücktritt aufgefordert, dieser hatte das jedoch abgelehnt. Daneben gibt es den Fall des ehemaligen Pastors Klaus Vollmer, der in der so genannten „Evangelischen Geschwisterschaft e.V.“ zahlreiche Fälle von sexuellem und geistlichen Missbrauch beging. Hier hatte die Landeskirche erst kürzlich eventuelle weitere Betroffene aufgefordert, sich zur Mitarbeit an einer Studie zu melden.
„Die Landeskirche braucht vor allem mehr Kommunikation“, sagte der Havelser Pastor Martin Wilke, der ebenfalls zu den Erstunterzeichnern des Briefs gehört, dieser Zeitung. In der Fläche der Hannoverschen Kirche sei bislang nur angekommen, dass die Gemeinden Schutzkonzepte erstellen sollten. Erst nachdem der Brief verfasst wurde, habe es zwei Zoom-Treffen zum Umgang der Kirchenleitung mit dem Missbrauch gegeben. „Bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs sind wir aber alle gefragt.“ Die Landessynode will sich voraussichtlich am Freitag mit dem Thema Sexueller Missbrauch in der Kirche beschäftigen. Dann soll es einen Themenschwerpunkt zu "Prävention, Intervention und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Landeskirche" geben. Als Rednerin wird unter anderem Nancy Janz, eine der Sprecherinnen der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), erwartet.