Nach elf Tagen ist das Drama zu Ende. So lange durften 47 Menschen, die unsere Crew aus Seenot gerettet hatte, nicht an Land. Sie sind den libyschen Folterlagern entkommen, tragen teils deutliche Spuren davon. Sie haben ein Schlauchboot bestiegen, dessen Schläuche gerade mal einen Millimeter dick sind und jederzeit platzen können. Sie wussten um das Risiko, auf See ums Leben zu kommen, dennoch machten sie sich auf den Weg, mit nichts mehr als dem Wunsch nach einem Leben ohne Angst, weil alles besser und sicherer schien als zu bleiben.
Doch anstatt dass wir sie, so wie es das Seerecht vorsieht, schnellstmöglich im nächsten sicheren Hafen hätten anlanden konnten, landeten unsere Gäste für weitere elf Tage in europäischer Geiselhaft, das letzte Mal waren es 19.

Lag elf Tage vor der Küste Italiens mit 47 Geretteten an Bord: die Sea-Watch 3
Hier geht es aber um viel mehr als um die Aufnahme von ein paar aus Seenot geretteten Personen. Es geht um einen Grundsatz, der gerade in diesem Land niemals zur Debatte stehen dürfte. Nämlich darum, dass jedes Menschenleben gleich viel wert ist – unabhängig von der Staatsangehörigkeit.
Sea-Watch ist eigentlich eine sehr konservative Organisation, denn alles was wir fordern ist im Grunde die Einhaltung von Konventionen, auf die man sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus gutem Grund geeinigt hat. Auch das Grundgesetz „bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft“. Darauf haben die Regierenden ihren Amtseid geschworen, doch auf dem Mittelmeer, haben sie diesen elementaren Grundsatz veräußert.
Seenotrettung darf nie von EU-Verhandlungen abhängen
Die EU gibt vor, gegen Menschenhandel vorzugehen, nichts anderes ist es aber, wenn jedesmal wochenlang um ein paar Dutzend Schutzsuchende gefeilscht wird. Was die europäischen Staaten und die EU-Kommission da wieder abgeliefert haben ist eine politische und moralische Bankrotterklärung. Die Gewährung von Grundrechten darf niemals konditional werden, Seenotrettung darf niemals von EU-Verhandlungen abhängen, weil damit elementarste Grundsätze menschlichen Zusammenlebens in Frage gestellt werden.
Was benötigt wird ist eine grundsätzliche Lösung. Das Signal, das wochenlange Verhandlungen aussenden, ist fatal: Kapitäne von Handelsschiffen etwa, die in so einer Situation hohe Konventionalstrafen befürchten müssen, überlegen sich zweimal, ob sie den kleinen Punkt auf dem Radar gesehen haben. Schon lange stellen wir fest, dass weniger gerettet wird, immer wieder berichten Schiffbrüchige, das zuvor Schiffe einfach an ihnen vorbei gefahren sind. Damit muss Schluss sein, Menschenrechte müssen wieder unveräußerlich werden.

Ruben Neugebauer, Sprecher von Sea-Watch
Ruben Neugebauer ist Mitgründer und Sprecher von Sea-Watch, seit 2015 hat er an zahlreichen Rettungsmissionen auf den drei Sea-Watch Schiffen, sowie den beiden Aufklärungsflugzeugen Moonbird und Kolibri teilgenommen. Er sagt von sich, „Menschenrechtsfanatiker“ zu sein, weil es bei der Wahrung von Menschenrechten keine Kompromisse geben dürfe.