Romeo und Pauline haben sich Mühe gegeben, doch das Gespräch war weder unterhaltsam noch informativ, kindgerecht schon gar nicht. Warum auch, wenn es im Unterhaltungsformat „Late Night Berlin“ ausgestrahlt wird. In der Reihe „Kinder fragen Kandidat:innen“ sieht man die Elfjährigen schon anfangs im „Spiegel“ blättern, wie man es in diesem Alter eben so macht. Im Gespräch wirken die Kinder mäßig interessiert, CDU-Kandidat Armin Laschet fühlte sich sichtlich unwohl – und das lag nicht an der Kulisse mit Teddybär und Kinderstühlen.
Was hat sich Pro Sieben von diesem Gespräch erhofft? Sollte Laschet vorgeführt werden? Sollte er zeigen, wie schlagfertig und humorvoll er sein kann? Taugen dazu sattsam diskutierte Themen wie der Hambacher Forst und Hans-Georg Maaßen? Eignen sich dazu Fragen wie: „Kann man Bundeskanzler werden, wenn man sich nicht genug benehmen kann?“ oder „Nach wie vielen Purzelbäumen wird dir schwindelig?“ Kaum.
Es ist nicht das erste Mal, dass Kinder Politiker befragen. Solche Gespräche können eigenen Reiz entfalten; Mädchen und Jungen betrachten die Welt mit anderen Augen, sie versuchen meist nicht, Erwartungen anderer gerecht zu werden oder zu glänzen. Alexander Neubacher schreibt im "Spiegel": "Als Vater mache ich mir keine Illusionen: Für die meisten Kinder sind ,Bob der Baumeister', ,Die Eiskönigin 2' oder Schminktipps auf Youtube spannender als die Frage, welche Partei die Kanzlerin oder den Kanzler stellt. Doch wie es an den Schulen aussieht, im Verkehr oder bei der Umwelt, finden auch Zehnjährige interessant." Politikerinnen und Politiker werden von Kindern gefordert, weil sie aus ihrer Wahlkämpfer-Rolle treten müssen. Doch in keinem Wahlkampf zuvor wurde der Stimme von Kindern ein solches Gewicht beigemessen, und das geht maßgeblich von Erwachsenen aus.
Kinder an die Macht – seit Anfang dieses Jahrhunderts wird in regelmäßigen Abständen über ein Elternwahlrecht diskutiert, bei denen Mütter und Väter treuhänderisch für ihre Kinder mitentscheiden können. Hermann Otto Solms (FDP), ehemals Bundestagsvizepräsident, hat vor dem Hintergrund der finanziellen Folgen der Corona-Krise gefordert, das Wahlalter auf null Jahre zu senken. Ohne den Begriff Generationengerechtigkeit kommt kein Wahlprogramm mehr aus. Kinder werden seit Jahren zu Demonstrationen mitgeschleift, Pappschilder werden ihnen um den Hals gehängt, auf denen nicht nur Ganztagsschul- und Kitaplätze gefordert werden.
Bei dieser Wahl fordert die Aktion "Enkelkinderbriefe" den Nachwuchs auf, die Wahl ihrer Großeltern zu beeinflussen: "Oma oder Opa geben dir ihre Stimme und schenken dir damit eine Zukunft." Der "Brief-Generator" hilft bei "den richtigen Argumenten". Die Bundestagswahl, so die Initiatoren, sei "die letzte Chance", um die Klimakrise aufzuhalten. "Viele junge Menschen haben das verstanden und setzen sich dafür ein. Das Problem ist nur: Junge Menschen entscheiden keine Wahl."
Soso, die Alten kapieren es nicht, nach ihnen – buchstäblich – die Sintflut. Ihre Interessen sind unmaßgeblich, weil sie nicht mehr lange genug zu leben haben, um die Folgen der Klimakrise zu durchleiden. Für die Zukunft ihrer Nachkommen und des Planeten interessieren sie sich nicht. Umfragen belegen, dass sich Jüngere mehr für Klimaschutz interessieren, es ist das Thema ihrer Generation. In der Jugend der Älteren war es womöglich die Wiedervereinigung. Aber damit allen anderen Verantwortungsbewusstsein abzusprechen, ist so kleingeistig und arrogant wie Kindern nicht zuzutrauen, sich Gedanken über große Zukunftsthemen zu machen.
Nicht nur Rechte Minderjähriger sind eingeschränkt, sondern auch ihre Pflichten. Sie stehen unter besonderem gesetzlichen Schutz. Bis zum Alter von 14 Jahren gelten sie als schuldunfähig. Sie müssen sich nicht mit widersprüchlichen Interessen auseinandersetzen und keine Verantwortung übernehmen. Egoismus ist ihr Vorrecht.
2003 sagte der einstige Chef der Jungen Union, Philipp Missfelder, vor: "Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen (...) Früher sind die Leute schließlich auch auf Krücken gelaufen". Missfelder war damals 23 Jahre alt. Bei der jüngsten Bundestagswahl lag die Beteiligung bei Wählern unter 40 Jahren unter dem Durchschnitt. Am niedrigsten war sie mit 67 Prozent bei 21- bis 24-Jährigen. Wer schreibt ihnen Briefe, damit sie bei der Bundestagswahl Verantwortung übernehmen? Wohlgemerkt: für ihre eigene Generation.