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Silvester-Krawalle Ein Blick zurück auf die Sielwall-Kreuzung

Die Silvester-Krawalle in Berlin haben eine Debatte über deutsche Integrationspolitik neu entfacht. Dabei geht es nicht nur um die Wurzeln der Randalierer, wie man in Bremen sehen kann, meint Silke Hellwig.
07.01.2023, 05:00 Uhr
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Ein Blick zurück auf die Sielwall-Kreuzung
Von Silke Hellwig

Nach den Krawallen in der Silvesternacht vor wenigen Tagen diskutieren Politik und Gesellschaft über die Täter, ihre Hintergründe und Motive. Bundesinnenministerin Nancy Faeser stellt fest: „Wir haben in deutschen Großstädten ein großes Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund, die unseren Staat verachten, Gewalttaten begehen und mit Bildungs- und Integrationsprogrammen kaum erreicht werden.“ Nancy Faeser ist Sozialdemokratin, vor sieben Jahren – nach der Silvesternacht in Köln – wäre ihr oder einer Parteifreundin in ihrem Amt dieser Satz vermutlich nicht über die Lippen gekommen.

Diese Ausschreitungen in jener Nacht im Jahr 2015 haben Spuren hinterlassen. Politik und Medien büßten an Vertrauen ein, weil sie sich um die Antwort auf die Frage der Täterschaft drückten. 2019 zog der „Spiegel“ Bilanz: 1304 Personen hatten Strafanzeige erstattet, 661 Frauen wegen sexueller Übergriffe. Die Kölner Staatsanwaltschaft habe gegen 290 Personen ermittelt, 52 von ihnen angeklagt. „Bei den Angeklagten handelte es sich laut Amtsgericht vor allem um Algerier (17), Marokkaner (16) und Iraker (7).“ 

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Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP im Landtag Nordrhein-Westfalen und Mitglied des „Untersuchungsausschusses Silvesternacht 2015“ sagte dem „Deutschlandfunk“: „Ohne Zweifel war die Silvesternacht ein Wendepunkt in der Debatte (...) Ich erinnere mich gut an Diskussionen, die wir auch im Innenausschuss des Landtages vor einigen Jahren geführt haben, wo diese Probleme eben nicht offen benannt worden sind, wo Probleme ja fast schön geredet worden sind (...) Es ist richtig, nun die Dinge beim Namen zu nennen.“ 

Die Dinge müssen beim Namen genannt werden, zweifellos. Die Frage ist, inwiefern solche Ereignisse verallgemeinert werden können. Es gibt aggressive Menschen, die dem Staat ihre Verachtung demonstrieren. Oft sind sie jung, oft sind sie männlich, viele von ihnen mögen ausländische Wurzeln haben. Aber diese drei Merkmale weisen auch Studenten und Bankkaufleute auf, Pflegekräfte und Handwerker. Gerade Bremerinnen und Bremer sollten nur zu gut wissen, dass es zu Ausschreitungen in Silvesternächten kommen kann, die mit den Wurzeln der Randalierer rein gar nichts zu tun haben.

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1988 berichtete diese Zeitung: „Randalierer und radikale Jugendliche haben die Silvesternacht für Krawalle und Auseinandersetzungen mit der Polizei genutzt. Betroffen hiervon waren die Städte Bremen, Hamburg und Berlin. In Bremen kam es dabei erstmals nach dem Kriege zu Plünderungen. Es gab Verletzte auf beiden Seiten sowie eine Anzahl von Festnahmen.“ Bis in die späten 1990er-Jahre hinein herrschte auf der Sielwall-Kreuzung im Viertel Neujahr für Neujahr der Ausnahmezustand.

Im Sommer gelingt es Touristen am Ballermann auf Mallorca, nachgerade durchzudrehen und aufs Unangenehmste aufzufallen, durch Schlägereien und Auseinandersetzungen mit den Ordnungshütern. Der „General-Anzeiger“ berichtete im November: „Die Situation mit Sauftouristen an der Playa de Palma war in dieser Saison schlimmer denn je. Das ist das Saisonfazit der Hoteliers auf Mallorca. Sie beklagen ein fehlendes Durchgreifen von Polizei und Behörden.“

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Man muss kein Soziologe sein, um zu ahnen, dass Alkohol, Drogen, Frustration, Testosteron und Gruppenzwang eine gefährliche Mischung sind. Man muss kein Politikwissenschaftler sein, um zu erkennen, dass das Misstrauen und der Respekt gegenüber dem Staat und seinen Vertretern in den vergangenen Jahren arg gelitten hat – nicht etwa nur bei jungen Männern migrantischer Herkunft. Bei manchen unter ihnen womöglich ganz besonders. Die "Neue Zürcher Zeitung" bezeichnet sie so: „Sie haben riesige Egos, aber keine Erziehung, keine Bildung und keine Chance auf gesellschaftliche Teilhabe.“

Das ist ein Problem. Wer meint, es wäre damit getan, Flüchtlinge  aufzunehmen, ihnen eine Wohnung zu besorgen und einen Deutschkurs anzudienen, irrt gewaltig. Seit 2015 hat sich die Debatte um die Flüchtlingspolitik verändert, sie selbst aber kaum. Der Weg zu einer echten Integrationspolitik ist noch weit. 

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