Wer wissen will, was der deutsche Kanzler denkt – der kann Steffen Hebestreit fragen. Der ist Sprecher von Olaf Scholz, schon seit fast fünf Jahren; nun, wo Scholz Kanzler ist, ist Hebestreit Regierungssprecher.
Am Freitagvormittag – während in Ramstein auf der US-Airbase die Ukraine-Kontaktgruppe tagt und das Thema Kampfpanzer für Kiew diskutiert – wird in Berlin Hebestreit nach dem Junktim gefragt in Sachen Leopard 2. Seit Mittwochabend heißt es, Scholz habe sein Ja zur Lieferung des Kampfpanzers daran geknüpft, dass die USA ihren Abrams ebenfalls zur Verfügung stellten. Donnerstagabend dann hat Boris Pistorius, der am selben Morgen erst ernannte neue Bundesverteidigungsminister, gesagt: „Mir ist ein solches Junktim nicht bekannt.“ Und nun, eine Nacht später, soll Hebestreit sagen, was die Wahrheit ist.
Vor acht Monaten hat er ein Interview gegeben zur Frage, wie eine Regierung in Kriegszeiten glaubwürdig und transparent kommunizieren könne. Hebestreit nennt als eiserne Regel für jeden Regierungssprecher: „Du darfst nicht lügen.“ Jetzt sagt er: „Es hat zu keinem Zeitpunkt ein Junktim gegeben, dass das eine nur zu erfolgen habe, wenn das andere erfolgen kann.“
Deutschland jenseits des Regierungsviertels, sagen die Meinungserforscher, ist in Sachen Kampfpanzer gespalten: Laut Infratest dimap sind 46 Prozent der Bevölkerung für eine Leopard-2-Lieferung, 43 Prozent dagegen. Eine gute Stunde nach Hebestreit in Berlin sagt Pistorius in Ramstein Ähnliches über die Kontaktgruppe: „Es gibt kein einheitliches Meinungsbild.“ Und schiebt hinterher: „Der Eindruck, es gebe eine geschlossene Koalition und Deutschland stehe im Weg, ist falsch.“ Es gebe „gute Gründe dafür“ und „gute Gründe dagegen“, alles sei „sorgfältig abzuwägen“. Diese Einstellung werde „von vielen Alliierten ausdrücklich geteilt – es gibt aber auch die anderen“.
Zu den anderen gehört Polen. Der östliche Nachbar will aus seinen Beständen Leoparden liefern, er braucht dafür Deutschlands Genehmigung – und er verliert die Geduld. Am Tag vor Ramstein hat Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gesagt: „Wir werden entweder schnell eine Einigung erzielen, oder wir werden selbst das Richtige tun.“ In Berlin sagt nun Hebestreit, er habe „keine Information über eine offizielle Anfrage“. Und er wisse auch „nichts“ von bei solchen Weitergaben sehr üblichen informellen Vorabgesprächen.
Und in Ramstein sagt Pistorius, die Runde habe über die Exportgenehmigungen zwar diskutiert – aber nicht entschieden. Er habe „ausdrücklich gesagt, dass Deutschland nicht im Wege stehen wird – wenn die anderen Partner so handeln wie wir“. Polen habe seine „Drohung, wenn man sie so verstehen will“, in der Runde „nicht wiederholt“. Und im Übrigen treffe eine solche Entscheidung „der Kanzler“.
Weil er selbst – egal wann eine Entscheidung falle über Lieferungen aus Deutschland – aber „vor der Lage sein“ und „schnell handeln können“ wolle: Deshalb habe er am Morgen den Auftrag erteilt, die Leopard-2-Bestände zu überprüfen: bei der Bundeswehr wie bei der Industrie. Was bedeutet: Bislang hat das Verteidigungsministerium noch nicht einmal durchzählen lassen. Und nein, das sei „kein Präjudiz“, sondern „Vorbereitung auf einen Tag, der kommen… der möglicherweise kommen mag“.
Pistorius wie Hebestreit, der ja für den Kanzler spricht, sagen im Übrigen, was Scholz auch gerne sagt: Wie groß die deutsche Hilfe für die Ukraine sei, gerade auch die militärische; und dass sie anhalten werde, so lange das Land ihrer bedürfe. Und es ist kein Zufall, dass das Kanzleramt pünktlich zum Ramstein-Termin veröffentlicht, was Deutschland an „militärischer Unterstützungsleistung“ schon erbracht hat und vorbereitet. Von 14.000 Schlafsäcken und 405.000 Tagesverpflegungsrationen über drei Brückenlegepanzer und 17 schwere und mittlere Brückensysteme bis zu den Flugabwehrsystemen, Haubitzen und Panzern ist alles aufgelistet: Gesamtwert 4,3 Milliarden Euro.
Aber, sagt Pistorius in Ramstein, er wisse: Niemand sei gerade hier, „um all das zu hören“. Und in Berlin sagt Scholz’ Sprecher Hebestreit auf die Frage, ob Deutschland fürchte, als Lieferant von Kampfpanzern Kriegspartei zu werden: „Da gibt es keine reinen Wahrheiten.“