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Schlichtungsstellen Auch ohne Gericht können sich Kunden wehren

Schlichtungsstellen und zunehmend auch Online-Kanzleien helfen beim Durchsetzen der Rechte von Konsumenten. Das gilt auch, wenn es nur um kleine Beträge geht.
18.07.2024, 05:00 Uhr
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Auch ohne Gericht können sich Kunden wehren
Von Wolfgang Mulke

Verspätungen sind Bahnreisende inzwischen gewohnt. Immerhin ein Ärgernis hat die Deutsche Bahn dabei jedoch weitgehend beseitigt. Schon direkt nach der Ankunft können Reisende Entschädigungsansprüche mithilfe der Bahn-App einfach geltend machen. Etwaige Teilerstattungen des Fahrpreises überweist das Unternehmen auch prompt – meist. Im Fall von Ewa T. gestaltete sich der Ausgleich schwieriger. Durch einen unpünktlichen deutschen Zug erreichte sie den Anschluss in Italien nicht. Seit Monaten versucht die Kundin, ihr verfallenes italienisches Ticket erstattet zu bekommen. Bisher erfolglos. Nachdem die Versuche gescheitert waren, sich direkt mit den Bahnunternehmen zu verständigen, wendete sie sich schließlich an die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP). Dort wird ihr Fall nun bearbeitet.

Immer wieder fühlen sich Verbraucher machtlos gegenüber Unternehmen, die keine gute Leistung erbringen. Es gibt jedoch mehrere Wege, die Verbraucherrechte durchzusetzen. Der erste Schritt ist der Kontakt zum Unternehmen selbst. Gute Unternehmen setzen auf Kulanzregelungen. Weist eine Firma die Beschwerde zurück oder geht gar nicht darauf ein, kommt eine Schlichtung in Betracht. Die Schlichter, auch als Ombudsleute bekannt, prüfen den Fall und entscheiden in der Regel auch, ob ein Anspruch berechtigt ist.

80 Prozent der Eingaben von Fahrgästen erfolgreich

Seit 2016 wurden in immer mehr Branchen entsprechende Einrichtungen gegründet. Grundlage war das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz. Die Bundesregierung wollte damit die Justiz von Klagen entlasten und Verbrauchern eine ortsnahe Hilfe im Konfliktfall anbieten. Später wurde noch eine Schlichtungsstelle des Bundes für Branchen ohne Schlichtungsstelle eingerichtet. Ob für Banken, Versicherungen, Energie, Nahverkehr Architekten oder Rechtsanwälte – die aktuelle Liste der Ombudsleute umfasst einen großen Teil der Wirtschaft. Wer ein Problem hat, kann die Aufzählung auf der Webseite www.bundesjustizamt.de abrufen und eine passende Einrichtung heraussuchen. Ein Schlichtungsverfahren ist für die Verbraucher kostenlos.

Voraussetzung für die Annahme einer Beschwerde ist ein erfolgloser Versuch, sich direkt mit dem Unternehmen zu einigen. Das Verfahren endet mit einem Schlichterspruch, der von Unternehmen nicht in allen Branchen angenommen werden muss. Die Erfolgsaussichten sind mitunter gut. Bei der SÖP enden zum Beispiel 80 Prozent der Eingaben mit einer einvernehmlichen Lösung. Wird die Forderung zurückgewiesen, bleibt den Verbrauchern immer noch der Klageweg vor Gericht als Option. Eine Klage ist allerdings mit erheblichen Kosten verbunden, von der Beratung durch einen Rechtsanwalt bis hin zu den eigentlichen Verfahrenskosten bei einem verlorenen Prozess. Die Höhe der Kosten hängt vom Streitwert ab. Ist eine Rechtsschutzversicherung vorhanden, kann das Verfahren für den Kläger auch kostenlos bleiben.

Inkasso von der Stange

Seit einiger Zeit entwickelt sich ein neues Angebot für Verbraucher, ihre Rechte durchzusetzen. Im Internet bieten immer mehr Anwaltskanzleien ihre Dienste dafür an. Die sogenannten ­Legal-Techs spezialisieren sich auf bestimmte Standardfälle. Ein Beispiel dafür ist das Portal Flightright.de, das sich auf Entschädigungsfälle im Luftverkehr konzentriert. Das Verfahren ist einfach. Ein Passagier gibt seine Flugnummer an. Dann prüft ein Computerprogramm, ob ein Entschädigungsanspruch besteht. Ist dies der Fall, beauftragen der Kunde oder die Kundin die Kanzlei mit der Vertretung. Entweder einigt sich die Kanzlei mit dem Unternehmen oder die klagt die Forderung ein. Kosten entstehen den Mandanten dabei nicht. Allerdings lassen sich die Legal-Techs ihre Arbeit im Erfolgsfall durch einen Anteil am erstrittenen Betrag vergüten. Zwischen 20 und 30 Prozent behält zum Beispiel Flightright nach eigenen Angaben ein und gibt die Erfolgsquote mit 99 Prozent an.

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Das Angebot der Online-Helfer reicht über übliche Entschädigungen hinaus. So haben sie sich etwa auch auf Verletzungen beim Datenschutz durch Unternehmen spezialisiert. Es gab bei mehreren großen Unternehmen Datenlecks, bei denen Informationen über ihre Kunden in die Hände Krimineller fielen. Bekannt wurde zum Beispiel, dass bei der Hotelkette Motel One im vergangenen Jahr Kundendaten gestohlen wurden. Auch bei Facebook kamen Daten von rund 500 Millionen Nutzern abhanden. Dafür wurde der Mutterkonzern Meta von irischen Behörden zu einem Bußgeld in dreistelliger Millionenhöhe verdonnert.

Auch Datenklau kann Schadenersatz bringen

Beim Legal-Tech helpcheck.de können Nutzer des sozialen Mediums prüfen lassen, ob ihre Mailadresse vom Datenklau betroffen ist. Ist dies der Fall, kann ein Schadenersatzanspruch vorliegen, wenn etwa das Postfach mit Spam-Mails geflutet oder unablässig verbotene Werbeanrufe eingehen. Bis zu 3000 Euro haben Gerichte den Geschädigten schon zugesprochen. „Gerade kleinere Beträge werden oft nicht durchgesetzt, erläutert Helpcheck-Jurist Clemens Pfeifer. Das übernimmt seine Kanzlei und lässt sich dies im Erfolgsfall mit einem Viertel der erstrittenen Summe vergüten. Das Legal-Tech hat sich viel vorgenommen. Es will eine Art Check24, das Preisvergleichsportal, für Rechtsansprüche werden.

Die Stiftung Warentest sieht die noch jungen Angebote eher skeptisch. „Die Angebote sind oft ganz schön teuer“, sagt Verbraucherschützer Christoph Herrmann. Außerdem würden ­Legal-Techs ungern vor Gericht ziehen. Die Verbraucher müssten sich dann mit dem anfinden, was die Unternehmen freiwillig zahlen. Aber es gibt auch ­Inkassoangebote, die funktionieren, zum Beispiel bei der Durchsetzung von Fluggastrechten.

Mitunter verhelfen die Kanzleien Verbrauchern auch in Fällen abseits der großen Öffentlichkeit zu ihrem Recht. Derzeit bereitet der Bundesgerichtshof (BGH) auf deren Betreiben eine für das Geschäft mit Sportwetten wichtige Entscheidung vor. Gewinnen die Kläger, müssen Unternehmen, die früher noch illegal in Deutschland Wetten angeboten haben, Spielverluste ihrer Kunden womöglich zurückerstatten. Kaum ein Zocker wäre wohl auf eigene Faust in den Rechtsstreit mit den Wettbüros gezogen. Noch ist das Ergebnis aber offen.
Wo es – wie in der Versicherungsbranche und bei Privatbanken – einen Schlichter gibt, der den Streit mit Verbrauchern für das Unternehmen verbindlich entscheiden kann, empfiehlt die Stiftung Warentest, es dort zu versuchen. Wer selbst diesen geringen Aufwand scheut, kann erprobtes Verbraucherinkasso wie bei Flug- und Fahrgastrechten gern in Anspruch nehmen.

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„Es ist auf jeden Fall besser, als nichts zu unternehmen“, stellt Herrmann fest. Bei Bahn- und Flugreisen, bei öffentlichen Banken und Sparkassen oder auch im Kraftfahrzeug-Gewerbe gebe es anerkannte Schlichtungs- oder Schiedsstellen, die zwar nicht verbindlich entscheiden können, aber wo der Schlichtungsantrag immerhin die Verjährung stoppt und die Empfehlung des Schlichters vielleicht das betroffene Unternehmen überzeugt.

Das Europäische Verbraucherzentrum im baden-württembergischen Kehl hat eine besondere Aufgabe. Unter der Webadresse www.evz.de können Verbraucher auf eine grenzüberschreitende Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Rechte hoffen. Auch dieser Service ist für Verbraucherinnen und Verbraucher kostenlos.

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